Messies: Wenn Chaos das Leben regiert
Messies schämen sich oft für ihr Problem. Drei Krefelder erzählen dennoch von ihrem Zwang, Dinge zu sammeln.
Krefeld. Elfriede, Thomas und Hermann (Namen von der Redaktion geändert) sitzen gemütlich im Biergarten und unterhalten sich. Zahlreiche Menschen gehen an ihnen vorbei, doch niemand ahnt, dass sie unter demselben Problem leiden.
Einem Problem, das immer wieder mit reißerischen Berichten in den Medien dargestellt wird, das man den Betroffenen aber nicht ansieht - weder auf den ersten noch auf den zweiten Blick: Die drei Krefelder sind Messies.
Das Messie-Syndrom ist ein Chamäleon unter den psychischen Erkrankungen. Es hat viele Formen, unterschiedlichste Ursachen und verschiedene Ausprägungen - und es trifft alle Schichten vom Hartz-IV-Empfänger bis zum Millionär.
Von den Krankenkassen ist das Syndrom noch nicht als Krankheit anerkannt. Betroffene, die sich in psychologische Behandlung begeben, werden häufig als Zwangsgestörte oder Depressive klassifiziert.
Das englische Wort "mess", das dem Phänomen seinen Namen gab, bedeutet übersetzt Unordnung, Chaos. Und genau davon ist das Leben eines Messies geprägt. "Fast alle Betroffenen haben eins gemeinsam: die ausgeprägte Sammeltätigkeit", erklärt Elfriede. "Sie können sich nur unter großen Schmerzen von Dingen trennen und haben ein Problem damit, Ordnung zu halten. Denn sie erleben sie meist unbewusst als aufgezwungen."
Viele fallen dadurch auf, dass sie häufig andere warten lassen sowie regelmäßig Termine und Fristen verpassen. Fast alle sind perfektionistisch veranlagt: Entweder sie bekommen etwas ganz geregelt oder gar nicht - und so scheitern sie meist schon am ersten Schritt.
Zwei bis drei Wohnungskontrollen führen die Krefelder Gesundheitsaufseher vom Fachbereich Gesundheit wöchentlich durch. Alarmiert werden sie meistens von Nachbarn, aber auch von Handwerkern, der Polizei oder vom Jugendamt. Wieviele Messie-Wohnungen pro Jahr in Krefeld ausgeräumt werden, ist nirgendwo statistisch erfasst. Doch eins ist sicher: Die Zahl steigt.
Dabei sind die ganz extremen Fälle - zugemüllte, verdreckte Wohnungen, in denen Seuchengefahr droht - eher selten. "Nur bei geschätzt fünf Prozent der Messies ist der Sammeldrang derart stark", erklärt Thomas, der "alle Informationen in gedruckter Form" hortet.
Doch eine Zwangsräumung hilft keinem Messie. "Wer sich gegen seinen Willen von Dingen trennen muss, empfindet das als eine Art Amputation", sagt Elfriede. "Die Räumung wird als Übergriff empfunden und dementsprechend sieht die Wohnung nach kürzester Zeit aus wie vorher."
Auch wenn die wissenschaftliche Erforschung des Messie-Syndroms noch in den Kinderschuhen steckt, zeichnet es sich ab, dass die Grundlagen dafür oft in früher Kindheit gelegt werden.
So ist Thomas seit seinem 14. Lebensjahr Messie. Bei ihm begann der Sammelzwang, nachdem er mehrmals unfreiwillig umziehen musste. Der Druck, der von seinem Stiefvater ausging, hat ihn bis heute geprägt.
Auch Hermann hat als Kind nichts alleine gehört - und was er besaß hat er ständig sortiert, gequält von Verlustängsten. Als er seinen Job verlor und Ärger mit den Behörden bekam, erstarrte er in vollkommener Lustlosigkeit. Er konnte sich zu nichts mehr motivieren.
Elfriede erinnert sich ebenfalls an einen großen materiellen und emotionalen Mangel in der Kindheit und Jugend. "Ich habe immer von einem Zimmer mit lauter Regalen geträumt."
Viele Brüche in ihrem Leben wie eine Scheidung und einige erzwungene Umzüge führten zu einer Überforderung und zur Unordnung. Momentan versucht sie, nichts Neues mehr anzusammeln. Doch der Erfolg ist zerbrechlich: "Bei einem erneuten Schicksalsschlag kann das kippen", sagt Elfriede. "Das spüre ich."
Eine Verkleinerung des Wohnraums, zum Beispiel durch Trennung, Scheidung oder den Verlust des Arbeitsplatzes, kann das Messie-Problem schnell verschärfen - bis hin zur Totalvermüllung.
Der Weg zurück in ein normales Leben ist dagegen sehr schwer: "Nur mit kleinen Schritten kommt man weiter", erklärt Thomas. Er hat sich jetzt Ordner und einige gebrauchte Möbel angeschafft. "So sind meine Sachen wenigstens sortiert und gut auffindbar. Das ist schon ein Riesen-Erfolg."