Mord an Bord: "Du hast noch zehn Minuten zu leben"

1981 wurden ein Krefelder und seine Freundin auf hoher See erschossen und den Haien zum Fraß vorgeworfen.

Krefeld. Kurz vor Weihnachten 1981 läuft die unter deutscher Flagge fahrende Segelyacht „Apollonia“ (18 Meter) im Hafen von Bridgetown, Barbados, ein. Beim Einklarieren fällt den Behörden auf der „Insel der Bärtigen“ auf, dass etwas mit dem Logbuch nicht stimmt. Und zwei Menschen fehlen: Schiffseigentümer Herbert Klein aus Krefeld und Gabriela Humpert aus Rheydt. Am Bord der Ketsch (hinter dem Großsegel ein zweiter kleinerer Mast) liegt ein Angeschossener in der Koje, Michael Wunsch, 25 Jahre alt.

Die Behauptung des angeheuerten Bootsführers Paul T. (42), der Bootseigner sei samt Frau bei schwerer See über Bord gegangen, fällt blitzschnell zusammen: Das Satellitenbild vom westlichen Atlantik zeigt für den angegebenen 13. Dezember herrlichstes Wetter. Das hat in New York auch Jeanne King, Korrespondentin der Illustrierten „Quick“, mitbekommen. Sie ist die erste Journalistin, die sich nach Barbados aufmacht. King führt mit den vier „Überlebenden“ des angeblichen Hurrikans viele Gespräche — und erkennt einen Haufen Widersprüche. Ihre Schlussfolgerung: Auf hoher See ist ein Doppelmord verübt worden.

Paul T., seine Freundin Dorothea P. werden zunächst in Bridgetown in schwüle Zellen gesperrt, der schwer verletzte Michael Wunsch wird im Hospital behandelt. Die Wahrheit kommt erst im Januar 1982 ans Licht, denn der Lokomotivführer und Stabsunteroffizier Paul T. hatte die Crew zu Falschaussagen gezwungen. Die Meuterei auf der „Apollonia“ sollte 20 Jahre später Stoff für ein Buch und einen Fernsehfilm werden.

Mit Zweireiher und Schlips stellt Herbert Klein (35) der WZ im Juni 1981 seinen Aussteiger-Traum vor. Er ist mal in die Karibik gereist und hat sich in die Insel Bequia verliebt. Dorthin musste es gehen, nur dorthin. Geld verdienen mit betuchten Gästen an Bord, bekocht von der blonden Gaby. Dazu „I Am Sailing“ von Rod Stewart dudeln lassen.

Speditionskaufmann Klein, zuletzt beschäftigt bei B & B-Transporte in Krefeld, verkauft seine Eigentumswohnung in St. Tönis und ersteht für 184 000 D-Mark die Ketsch „Wappen von Bremen“ von einer Bremer Seglergemeinschaft. Er lässt sie auf nur sechs komfortable Kojen umbauen. Der WZ sagte Klein: „Das ist ein Ausstieg für immer. Ich werde niemals zurückkommen“.

Vom Segeln hat er nur ein bisschen, vom Navigieren gar keine Ahnung. Er ist mal nach Helgoland ’rübergemacht. Kinderkram. Auf dem ersten Törn von Bremerhaven durch die Biskaya nach Gran Canaria überwirft Klein sich mit seiner Crew, alle erfahrene Hasen wie Ausbilderin Katja Löthen von der Krefelder Seglervereinigung. Die Mannschaft fliegt von den Kanaren heim. Jochen Edler, der das Schiff bis in die Karibik führen sollte, hat die Nase voll.

Den drei- bis vierwöchigen Schlag über den Atlantik via Kapverden traut sich Klein mit seiner Gaby allein nicht zu. Im Yachthafen von Pasito Blanco findet er die Mitsegler — oder die ihn. Paul T., als Navigator abgeheuert, hat den Kommisston drauf, staucht jeden zusammen, der auch nur drei Minuten zu spät zur Wache an Deck erscheint. In nur 14 Tagen reift eine gefährliche Feindschaft zwischen ihm und dem Bootseigner heran. Der widersetzt sich den Befehlen des Bootsführers.

Ein Jahr später vor dem Landgericht in Bremen, zuständig als Seegericht für das Verbrechen auf einem deutschen Schiff, befassen sich Gutachter mit der Psyche des Paul T. Ihr Urteil: schuldfähig.

Ehe T. am 13. Dezember 1981 zur Pistole greift, lässt er sich von Herbert Klein einen Schuldschein über 25 000 Mark unterschreiben. Den bekommt später die Ex-Frau des Ermordeten, nachdem T. und seine Freundin Dorothea von Barbados nach Deutschland abgeschoben werden und zunächst frei herumlaufen. T. hatte sich wohl auch die „Apollonia“ unter den Nagel reißen wollen. Er war es, der das Logbuch fälschte.

„Du hast noch zehn Minuten zu leben“, soll der hyperpünktliche Stabsunteroffizier zu Klein gesagt haben. Unklar ist, ob die beiden Opfer noch lebten, als sie in den an dieser Stelle 2000 Meter tiefen Atlantik mit Haien und anderen Raubfischen geworfen werden. Gaby Humpert stirbt als letzte. Kopfschuss um 19 Uhr. Säuberlich notiert von Dieter Giesen, der später gemeinsam mit Wunsch vor der Staatsanwaltschaft in Konstanz auspackt. Michael Wunsch wird bei der Schießerei ebenfalls verletzt.

Das Landgericht Bremen verurteilt T. kurz vor Weihnachten 1982 wegen zweifachen Mordes und eines Mordversuchs zu zweimal lebenslanger Haft, seine Freundin wegen Beihilfe zu drei Jahren. Knapp zwei Jahre später, am 19. Oktober 1984, bricht Paul T. aus der Haftanstalt in Fuhlsbüttel („Santa Fu“) aus. In 30 Stunden auf freiem Fuß kommt er aber nur bis Datteln. Ein dort lebender Onkel lässt ihn nicht ins Haus, sondern verständigt die Polizei. Ende der Flucht.

Im April 1999 — nach 17 Jahren Zelle — wird Paul T. vorzeitig entlassen. 2001 erscheint im Delius-Klasing-Verlag das Buch „Logbuch der Angst“, 2004 strahlt die ARD die Ereignisse auf der „Apollonia“ in der Serie „Die großen Kriminalfälle“ aus.

Die Ketsch segelt in der Karibik weiter, bis sie im Herbst 1999 in einem Hurrikan sinkt. Ein Amnerikaner birgt und restauriert das Schiff zehn Jahre lang. Er nutzt es zumindest bis 2012. Ob Paul T. noch lebt, ist unbekannt. Er wäre 74 Jahre alt.