Krefeld Notschlafstelle: "Nach uns kommt nur die Straße"
Die Diakonie stößt bei der Bettenbelegung in ihrer Notschlafstelle immer öfter an ihre Grenzen. Viele Wohnungslose kommen seit Jahren zur Lutherstraße.
Krefeld. Gemütlich ist es in dem großen Raum mit den gelb angestrichenen Wänden nicht gerade. Die roten Lampenschirme, die von der hohen Decke hängen, und ein paar Zimmerpflanzen sorgen wenigstens für ein bisschen Wohnzimmeratmosphäre. Die Männer haben es sich an den einzelnen Tischen so heimelig wie möglich gemacht: Akribisch sortiert liegen hier Papierstapel mit Bleistiftzeichnungen, da eine sorgfältig gefaltete Wollmütze, daneben ein Frühstücksteller mit Brötchen und einem Apfel.
Unter den Tischen reihen sich große Plastiktüten, vollgestopft mit persönlichen Habseligkeiten. An einem sitzt ein älterer Herr in Jacke und mit Mütze auf dem Kopf und löffelt Linsensuppe aus der Dose. Der Fernseher flimmert unbemerkt im Hintergrund.
„Ein Wohnzimmer ist das hier nicht“, sagt Ludger Firneburg, „aber wenn’s regnet, müssen die Leute wenigstens nicht draußen im Stadtwald sitzen.“ Firneburg ist stellvertretender Geschäftsführer der Diakonie, die das Beratungszentrum für Wohnungslose mit Tagesaufenthalt und Notschlafstelle an der Lutherstraße betreibt. Im Tätigkeitsbericht der Diakonie Krefeld und Viersen für 2015 fasst er die Situation so zusammen: „Die Zahl der Klienten ohne solide Perspektive auf ein Leben in einer eigenen Wohnung steigt.“
Die Schlafsäle sind in der Mittagszeit verlassen. Aber auch hier stapeln sich auf den Etagenbetten Taschen mit den wenigen persönlichen Dingen, die die Menschen, die hier schlafen, besitzen. 36 Betten für Männer und sechs für Frauen gibt es an der Lutherstraße — ein freies zu bekommen ist dieser Tage Glückssache. „Es ist anders als die meisten glauben, nicht nur im Winter rappelvoll“, erklärt Firneburg, „die Betten hier sind durchgängig hoch belegt.“
Das Klientel an der Lutherstraße: „In aller Regel alleinstehende Männer jenseits der 50.“ Etwa 30 Prozent haben einen Migrationshintergrund. „Manche sind nur kurz da, dann verschwinden sie wieder.“ Die meisten aber bleiben. Das Gefühl von Schutz und Sicherheit ermutige viele dazu, „sich auf einem sehr niedrigen, aber sicheren Niveau“ dauerhaft an der Lutherstraße einzurichten. Glücklich ist Firneburg darüber nicht, da die Klienten so die Notwendigkeit, andere Lebensformen zu entwickeln, aus den Augen verlören. Trotzdem: „Es gibt Leute, die sind seit Jahren hier. Es gibt hier so etwas wie eine Gemeinschaft.“
Günter W. ist seit etwa zwei Jahren wohnungslos
So wie Günther W.: „Ich bin froh, dass ich hier sein darf. Auf der Straße würde ich mir die Kugel geben“, sagt der 60-Jährige. Rauchend sitzt er auf einem Gartenstuhl im Hof, trinkt Kaffee und hört Radio — wie eigentlich jeden morgen, seit nunmehr eineinhalb Jahren. Die rote Frauenhandtasche neben ihm ist seitdem sein ständiger Begleiter: Eine Luftpumpe für sein Fahrrad, eine Kaffeetasse und Besteck sind darin — „meine Privatsachen, alles, was ich am Tag so brauche.“
18 Jahre und zwei Monate habe er, der gelernte Bürokaufmann, für eine Krefelder Firma gearbeitet — dann wurde er entlassen. Das war 2006. Warum er vor zwei Jahren dann auch seine Wohnung verlor? „Das hat vielschichtige Gründe“, mehr will Günther W. nicht erzählen. Ja, Alkohol habe dabei sicher eine Rolle gespielt, räumt er noch ein. „Ich trinke nachmittags schon meine drei, vier Bier, aber draußen, hier ist das verboten.“ Das sei richtig so, findet der 60-Jährige, die betrunkenen Männer seien an der Lutherstraße ein Problem, „das bringt Unruhe hier rein“.
Die Frage nach seinen Wünschen für die Zukunft bringt Günther W. in Verlegenheit. „Ich möchte hier in Krefeld bleiben“, sagt er. „Eine ruhige Wohnung wäre schön . . .“
„Die Komplexität der Problemlagen unserer Besucher und Ratsuchenden“ steigt — auch das ist eine Erkenntnis aus dem aktuellen Tätigkeitsbericht der Diakonie: Jobverlust, Scheidung oder der Tod eines Kindes — oftmals seien persönliche Schicksalsschläge der Grund dafür, dass Menschen auf der Straße landeten. „Wir haben hier einen hohen Anteil psychisch erkrankter Personen“, sagt Georg Triebels. Vorrangiges Ziel seiner Arbeit im Beratungszentrum für Wohnungslose sei es deshalb, Betroffenen ein unterschwelliges Beratungsangebot zu geben, erklärt der Sozialarbeiter. „Wir sind hier das letzte Auffangnetz — nach uns kommt nur die Straße.“
Von rund 300 Ratsuchenden seien im vergangenen Jahr etwa 70 in Einrichtungen oder eine eigene Wohnung vermittelt worden, sagt Firneburg. Wer einmal auf der Straße lebt, der habe es schwer, eine Wohnung zu finden. Nicht jeder Betroffene sei in der Lage oder bereit dazu, einen eigenen Haushalt zu führen. Oft scheitere die Chance auf den Neustart in einer eigenen Wohnung aber an den Vorurteilen der Vermieter. Firneburg: „Unser Wunsch ist es, eine Einrichtung zu schaffen, in der Leute, die keine Perspektive haben, in Ruhe alt werden können.“