WZ-Redakteur aus Krefeld berichtet So lief mein Besuch bei den Olympischen Spielen
Krefeld/Lille · Der Krefelder WZ-Sportredakteur Benjamin Weßling hat sich lange auf die Olympischen Spiele 2024 gefreut. Wie er seinen Besuch jetzt erlebte und was dabei für Gänsehaut sorgte.
Als Sportfan wird man in diesen Wochen ganz besonders verwöhnt. Vor nicht einmal einem Monat durften wir die tollen Bilder und Emotionen der Fußball-Europameisterschaft im eigenen Land miterleben und jetzt steht schon das nächste Sport-Highlight auf dem Programm. Die Olympischen Spiele von Paris haben begonnen und für mich ging dadurch ein großer Traum in Erfüllung.
Bereits im Alter von sechs Jahren zogen mich die Spiele in ihren Bann. Es war 2004 in Athen, die Lorbeerkränze für die Sieger sind bis heute in Erinnerung geblieben. Im Sommerurlaub in Berchtesgaden verfolgten wir das Sportspektakel in Griechenland am Fernseher. Als ich dann zum ersten Mal das Team USA im Basketball sah, hat mich die Faszination Olympia komplett gepackt. Über all die Jahre hat sich das bis heute nicht verändert.
Olympia endlich wieder in Europa, direkt vor der Haustür
Deshalb ist es toll, dass die Olympischen Sommerspiele endlich wieder in Europa stattfinden. Nach Athen (zu jung), Peking (zu große Entfernung), London (zu teuer für einen 16-Jährigen), Rio de Janeiro (erneut zu große Entfernung), Tokio (wegen Covid-19 keine Fans zugelassen) ist Paris einfach der perfekte Ort, um dieses einmalige Event hautnah in den Arenen mitzuerleben.
Als früherer Leistungssportler in der Leichtathletik reichte es für mich leider „nur“ für die deutschen Meisterschaften, der große Sprung zu Olympia blieb mir als Sportler verwehrt, als Fan kann ich jetzt dabei sein.
Am Samstagmorgen um kurz nach 3 Uhr heißt es: „Nächster Halt Lille in Nordfrankreich.“ Warum Lille und nicht Paris, schließlich sind die Spiele doch in der französischen Hauptstadt? Doch in Lille, der Hauptstadt des Bundesstaates Hauts-de-France, werden das Basketball- und Handball-Turnier ausgetragen. Rund 300 Kilometer sind es von Krefeld nach Lille, fast schon ein Katzensprung – erst recht angesichts der horrenden Hotelpreise in Frankreich während der Olympischen Spiele.
Schon während der Autobahn nach Frankreich fällt meiner Reisegruppe, zu der meine Freundin Laura und mein Onkel Frank gehören, auf, dass sehr viele deutsche Autos unterwegs sind. Klar, es sind vielerorts Sommerferien, doch spätestens als im Parkhaus in Lille ein Auto mit Duisburger Kennzeichen neben uns steht, wissen wir, dass wir nicht die einzigen deutschen Fans vor Ort sein werden. Das zeigt sich dann auch auf dem Weg mit der U-Bahn aus der Innenstadt ins Stade Pierre-Mauroy, wo am Samstag die Basketballer von Australien und Spanien sowie Deutschland und Japan aufeinandertreffen. Viele Fans im Trikot von Dennis Schröder und Franz Wagner sind zu sehen. Die Vorfreude steigt immer, spätestens als wir am Stadion die Olympischen Ringe in Verbindung mit dem Schriftzug Paris 2024 lesen, ist es um uns geschehen. „Das hier ist etwas ganz Besonderes. Zum Glück haben wir die Karten so früh gekauft, um jetzt hier zu sein. Das wird der absolute Wahnsinn“, sagt Laura, während wir für ein Foto vor einer Statur mit den Ringen warten – schließlich muss alles dokumentiert werden. So oft kommt man nicht zum größten Sportevent der Welt.
Plätze direkt am Spieltunnel runden die Spiele perfekt ab
Nach den Fotos treffen wir immer mehr deutsche Fans, im Stadion sehen wir weitere deutsche Flaggen wehen. Aber nicht nur das: Es sind Fans, Trikots und Fahnen aus der ganzen Welt zu sehen. Das macht Olympia aus.
Gänsehaut macht sich bemerkbar, als wir feststellen, dass unsere Plätze unmittelbar am Spielertunnel liegen und sich der Gedanke im Kopf breit macht, dass gleich „unsere Jungs“ direkt an uns vorbeilaufen. Aber vorher gab es quasi zum Aufwärmen noch Australien gegen Spanien. Durch mein Auslandssemester in Sydney verbinde ich große Sympathien für Down Under und so ist es nicht verwunderlich, dass Matty Mills, Joe Ingles und Co. lautstark unterstützt werden. Die Australier gewinnen das Spiel mit 92:80 und direkt mit Abpfiff sprinten die deutschen Fans in Richtung Spielertunnel und Warm-Up-Bereich. Jeder will einen Blick auf „unsere NBA-Stars“ erhaschen. Und dann kommen sie raus, angeführt von Dennis Schröder, der seine Mannschaft anpeitscht. Im Stadion hört man derweil nur die deutschen Fans, die den Weltmeister siegen sehen wollen, es sind einmalige Momente, die ich mir immer erträumt habe.
Nach dem Aufwärmen ist das Stadion komplett gefüllt, knapp 26 000 Fans passen rein, ein mehr als würdiger Rahmen für ein Auftakt-Spiel am ersten Tag der Spiele. Dann der nächste Gänsehaut-Moment: Die Nationalhymnen werden gespielt. Arm in Arm singen wir mit und das Olympia-Fieber ist vollends da. Mitten in die Euphorie, Gänsehaut und fast schon unwirklich wirkenden Erlebnissen macht sich für einen Sekundenbruchteil ein kleines bisschen Wehmut breit: Was wäre, wenn ich auch mal da unten auf dem Platz gestanden hätte? Der Anpfiff ertönt und die Gedanken sind wie weggeblasen. „Auf geht’s Deutschland“, schallt es durch die Arena. Das deutsche Team kontrolliert das Spiel und fährt einen ungefährdeten Sieg ein. Ein perfekter erster Sporttag geht mit einem 97:77 und vielen tollen Impressionen zu Ende – immer im Hinterkopf, dass wir am Sonntag und übernächsten Freitag wieder hier sind.
600 Kilometer hin und zurück: „Wieso tut ihr euch das an?“
So mancher hielt uns vor unserem Wochenende für ein wenig verrückt. Jeweils am Samstag und Sonntag eine Hin- und Rückfahrt von 600 Kilometern führte nicht selten zu der Frage: „Wieso tut ihr euch das an?“ Die Antwort ist recht einfach und für viele Fans, die sich das Spektakel im Fernsehen anschauen, nur schwer zu greifen: Am Sonntagabend sahen wir das Frauen-Basketball-Spiel zwischen Puerto Rico und Serbien. Man musste vor rund 13 Monaten Karten kaufen, ohne zu wissen, was man sehen wird. Nach der ersten kleinen Enttäuschung, dass es für das amerikanische Dream-Team um LeBron James und Steph Curry nicht gereicht hat, überwog schnell der Olympische Gedanke: Dabei sein ist alles. Es mag komisch klingen, aber genau diese Stimmung spürten wir am Sonntagabend in der Arena. Ein buntes Treiben auf den Rängen, gut gelaunte Fans aus der ganzen Welt. Puerto-Rico-Fans inmitten der serbischen Unterstützer, die den ganzen Tag schon gut gelaunt in Nikola-Jokić-Trikots durch das Stadtzentrum Lilles liefen. „Freed from Desire“ ertönt und die Stimmung ist fast wie bei einem Fußball-Champions-League-Finale. Puerto Rico bekommt 24 Sekunden vor dem Ende noch einmal den Ball, kann das Spiel sogar gewinnen. Die Halle tobt, der Ball verfehlt den Korb und der krasse Außenseiter verliert hauchzart.
Spätestens in diesem Moment spürten wir den olympischen Spirit, den wir auf der Reise unbedingt erleben wollten. Ein ganz besonderes Erlebnis. Da macht es dann auch nichts mehr aus, dass das Auto um kurz vor 4 Uhr am Montagmorgen in der Einfahrt parkt und wir übermüdet ins Bett fallen. Ein einmaliges, wunderschönes Erlebnis, eben (m)ein olympischer Traum.