Serie Premiere im Achter: „Ziehst ordentlich was weg“
Krefeld · Rudern hielt WZ-Mitarbeiter Janis Beenen für einen simplen Sport. Doch das Training mit dem Crefelder Ruder Club zeigt: Profis brauchen mehr als starke Arme.
Am Ende der Einheit sagt Ruder-Coach Markus Wöstemeyer einen Satz, der Sport und Philosophie ganz nah zusammenbringt: „Wenn das hier einfach wäre, wäre es Fußball.“ Wie treffend der Trainer des Bundesliga-Achters des Crefelder Ruder Clubs damit seinen Anspruch zusammengefasst hat. Bei der Ankunft am Elfrather See war ich noch überzeugt: Ein bisschen Kraft in den Armen, ein bisschen Ausdauer – fertig ist der Ruder-Profi. So muss es sein, schließlich verfolge ich den Achter alle vier Jahre bei den Olympischen Spielen und verlange vom deutschen Paradeboot nicht weniger als Gold. Wöstemeyers Team hat mir gelehrt, wie anspruchsvoll das tatsächlich ist.
Zunächst präparieren Wöstemeyer und seine Truppe vor dem Bootshaus den Achter. „Ich war ja schon mal zum Paddeln auf der Niers“, sage ich zum Trainer, in der Erwartung, dass wir Experten nun fachsimpeln können. Es kommt anders. Natürlich hätte ich so etwas Gefühl für das Wasser. „Aber paddeln ist ganz anders als rudern“, sagt Wöstemeyer.
Die ersten Übungen finden
im Bootshaus statt
Einen Vorgeschmack gibt es im Bootshaus. Dort stehen die Rudergeräte. Die Fitnessmaschinen kannte ich bislang vor allem von über Vierzigjährigen. Die stellen sich solche Geschosse gerne mit dem Kommentar „Darauf nehme ich mir meine Auszeit zu Hause“ in den Keller. Die Ruderer brauchen sie wirklich. Zum einen, um im Winter in Form zu bleiben. Zum anderen, um den grundsätzlichen Bewegungsablauf zu lernen. Sich zunächst mit den Beinen nach hinten stoßen, dann mit den Armen das Ruder nachziehen. So werde die Kraft gleichmäßiger über die Bewegung verteilt, sagt Wöstemeyer. Ein paar Minuten lässt er mich auf dem Gerät arbeiten. Ob das auf dem See auch so anstrengend wird?
Gemeinsam mit den Mannschaftskameraden trage ich den Achter zum Wasser. Beziehungsweise die Bundesliga-Profis tragen und ich halte auch eine Hand ans Material. Dann geht es endlich los. Das Boot wackelt leicht. Wöstemeyer geht mit mir den Bewegungsablauf durch. Auf dem beweglichen Sitz nach vorne rollen. Das Ruder schräg nach hinten halten und dann gleichzeitig mit dem Team senkrecht ins Wasser eintauchen lassen. Sich nach hinten abstoßen und mit den Armen das Ruder zum Körper ziehen. So nimmt der Achter Schwung auf. Nach einem Zug kommt das Ruder wieder aus dem Wasser. Das Paddel soll dann waagerecht in der Luft stehen. So geht es immer und immer weiter.
Schon ein kleiner Fehler
wird zum großen Problem
Langsam beginnt die Fahrt. Den Bewegungsablauf zu koordinieren und gleichzeitig mit Kraft zur Schlagzahl des Teams beizutragen, ist verdammt schwierig. Die Arme brennen, ich versuche bei jeder Beschleunigung mitzuhalten. Doch immer wieder müssen die Kollegen stoppen, damit ich erneut in ihre Choreografie einsteigen kann. Schon ein kleiner Fehler in der Bewegung ist ein großes Problem. Versetzt zu den Mitstreitern zu arbeiten, ist unmöglich. Ebenso schlecht ist es, das Ruder in falscher Position ins Wasser zu setzen. Mit enormer Kraft drückt der Stab dann in Richtung des Körpers des Ruderers. Um die Rippenprellung zu verhindern, heißt es: Sitz nach hinten schieben und flach wegducken.
Trainer Wöstemeyer begleitet die Fahrt auf einem Motorboot. Ein schnittiges Teil, mit dem James Bond einen Bösewicht durch Hafendocks jagen könnte. Wie gerne wäre ich an Wöstemeyers Position und würde über den Lautsprecher Anweisungen rufen.
Wöstemeyer scheint meinen Wunsch zu erhören. Getreu der Devise „Ich bewerbe mich bei Ihnen als Chef“ lässt er mich nach einer Fahrt zumindest vom Ruder ans Steuer. Der Steuermann sitzt im Achter ganz hinten und blickt als einziger in Fahrtrichtung. Optimalerweise wiege dieser für die ideale Auslastung des Boots 55 Kilo, sagt Wöstemeyer. Gerüchten, dass ich mich in das spitz zulaufende Ende des Boots quetschen musste, möchte ich klar widersprechen. Wer mit Fotos das Gegenteil beweisen will, dem rufe ich zu: „Fake news.“ Neben dem richtigen Gewicht brauche der Steuermann ein gutes Gespür für sein Team, sagt Wöstemeyer. Schließlich muss er das Tempo vorgeben.
Und dann verursacht
der Amateur fast einen Unfall
Während ich auf meine Position klettere, erklärt mir Michael Naß, der vor mir am Ruder sitzt, den genauen Job. „Du musst darauf achten, dass der Achter möglichst geradeaus fährt.“ Das solle ich über ein schmales Seil, das um den Sitz verläuft, erreichen. Ich müsse dabei mit kleinen Bewegungen arbeiten. „Wenn du stark einlenkst, kippt der Achter zu sehr“, sagt Naß.
Zum ersten Mal sage ich den Start an: „Mannschaft in die Rücklage. Volle Rolle ab.“ Schon zieht der Achter los. Ein tolles Gefühl. Ich genieße die Fahrt über den Elfrather See und vergesse für ein paar Momente zu viel, dass ich steuern soll. Auf diesem Weg möchte ich mich daher noch einmal bei der Familie im Paddelboot für den Beinahe-Crash entschuldigen. Tatsächlich ist es eine ziemlich filigrane Sache zu steuern. Kleine Bewegungen am Riemen reichen aus, die Fahrtrichtung deutlich zu beeinflussen. Hinzu kommen noch die Ansagen für das Tempo der Ruderschläge. „Ein, zwei, drei, vier, fünf“, brülle ich über Bord. Ob die Mannschaft nun deshalb gut im Takt schlägt? Oder lassen sie mich rufen und schlagen einfach gut im Takt, weil sie es eben gut können? So genau möchte ist das gar nicht wissen.
Wieder an Land interessiert mich vielmehr die Meinung des Coaches. Ob Wöstemeyer mich in Zukunft gebrauchen kann? Meine Leistung würde ich selber als sehr gut bewerten: Abgesehen vom unrhythmischen Rudern und der falschen Haltung des Ruders und dem Fast-Zusammenstoß mit dem anderen Boot. Aber was ist das schon? Kleinigkeiten. „Ein bisschen üben musst du noch“, sagt Wöstemeyer. Aber das Ruder sei meine Position an Bord. „Du ziehst ordentlich was weg“, sagt der Coach. Wie schön, diesen Satz außerhalb eines Schützenfestzeltes zu hören.
In der Serie „Trainieren mit den Profis“ begleitet WZ-Mitarbeiter Janis Beenen Krefelder Sportler. Die Herausforderung: Keine der Disziplinen hat der 22-Jährige je bestritten. Worauf kommt es also an? Und was bringt jahrelange Erfahrung als Fernsehzuschauer? Eindrücke vom Ruder-Training gibt es auch als Video im Internet.