Schullandheim: Alle Krisengebiete der Welt vertreten
Zwei Wochen lang können sich die Menschen in Herongen von den Strapazen ihrer Flucht erholen.
Krefeld. Generationen von Krefelder Schülern sind über diesen Hof gelaufen, haben den Amadus-Bach mit einem Staudamm aus Holzstöckchen und Schlamm umgeleitet, Schiffchen schwimmen lassen, im Frühstücksraum roten Früchtetee getrunken und ihr Butterbrot geschmiert. Seit Oktober ist das anders: Die Kinder, die sich für einen Aufenthalt im Schullandheim Herongen angemeldet hatten, müssen umdisponieren. Das Heim im Besitz der Stadt Krefeld ist kurzfristig zur Unterkunft für Flüchtlinge und Asylsuchende umfunktioniert worden.
Schon auf der Zufahrtsstraße und in der Einfahrt fällt auf, dass sich etwas geändert hat. Wo früher Gruppen von Schülern zur Exkursion aufbrachen, stehen jetzt Familien mit kleinen Kindern herum und warten. Warten darauf, dass sie zum Röntgen gebracht werden, zur ärztliche Untersuchung. Warten darauf, mit dem Bus nach Köln gefahren zu werden, wo sie bei der Zentralen Ausländerbehörde (ZAB) offiziell als Asylbewerber registriert werden. Wo sie dann auch ihren Ausweis mit Lichtbild bekommen. Zwei Wochen kann das Verfahren in Anspruch nehmen, die sie im Schullandheim in Herongen oder vergleichbaren Einrichtungen verbringen.
130 Personen maximal können in Herongen in den Wohnhäusern „Krähennest“, „Bienenstock“ und „Greifenhorst“ untergebracht werden, 103 Flüchtlinge sind derzeit hier. Herbert Siegersma spricht nicht von Flüchtlingen oder Asylbewerbern, für ihn sind das Gäste. Siegersma arbeitet für die Bezirksregierung Düsseldorf, ist aber an die in Nordrhein-Westfalen für Flüchtlinge zuständige Bezirksregierung Arnsberg „ausgeliehen“ worden. Seine Gäste kommen so ziemlich aus jedem Krisengebiet dieser Welt. Natürlich sind Iraker und Syrer darunter, Albaner, Marokkaner, sogar Chinesen. Entsprechend sind die Sprachprobleme. Aber es geht: Das Röntgen heißt dann einfach nur Check — man versteht sich auch ohne viele Worte.
Das Verstehen klappt offenbar auch unter den verschiedenen Nationen und Religionen. Reibereien gibt es kaum, eher das Gegenteil: In Herongen werden Freundschaften geschlossen, die allerdings oft nach zwei Wochen wieder beendet sind. Glücklicherweise sind es nur die neuen Freundschaften, die zerrissen werden. Familien sollen zusammenbleiben, das ist eines der wichtigsten Ziele. Sie werden im Schullandheim in einem Zimmer untergebracht. „Da kann es schon mal passieren, dass in den Zimmern ein Bett leer bleibt“, meint Herbert Siegersma.
Betreut werden die Gäste in Herongen vom DRK, das auf dem Gelände eine eigene Sanitätsstation unterhält. Die ist das Reich von Schwester Gesine Winge aus Stenden bei Kerken. Die examinierte Kranken- und Gesundheitspflegerin ist zuständig für die kleineren Wehwehchen. Schwerere Fälle müssen zum Arzt oder ins Krankenhaus.
Für die gute Atmosphäre in Herongen fühlen sich alle zuständig: der Regierungsvertreter, die Krankenschwester — und vor allem auch die neun Mitarbeiter der Stadt Krefeld, die jetzt für das DRK in der Hauswirtschaft, in der Küche und als Hausmeister tätig sind. Jürgen Hecker vom DRK in Münster über die Gäste: „Jeder, der hierher kommt, hat seine eigene, oft traurige Geschichte. Wir müssen diese Menschen ernst nehmen.“
Beim Heim-Essen wird Rücksicht auf die religiösen Vorschriften genommen, ohne gleich einen Multi-Reli-Speiseplan zu erstellen: Die Küche bereitet einfach kein Essen mit Schweinefleisch zu. Nach der Mahlzeit schnappen sich die Gäste Besen und Lappen, und machen sauber — ohne extra Aufforderung. Hecker: „Wir erwarten eine gewisse Mitarbeit, denn wir sind kein Hotelbetrieb. Auch haben wir eine Hausordnung, die strikt eingehalten werden muss.“ Dazu gehören das Alkohol- und Rauchverbot auf dem Gelände.
Immer wieder gibt es deutsche Mitbürger, die genervt anfragen, wann denn die Unterbringung von Asylbewerbern endlich beendet sei. Dennoch: Laut Hecker ist die Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung „schon sehr hoch“. Ein Gärtner hat vor Weihnachten privat einen Tannenbaum angeschleppt, Schulklassen kommen und informieren sich, bringen gleichzeitig aber auch Spielsachen und Kleidung mit. Spielsachen sind immer willkommen, denn unter den derzeit 103 Gästen sind immerhin 30 Kinder. Aber auch die Kleiderkammer hat noch Bedarf, es fehlt vor allem an Wintersachen. Siegersma: „Wir hatten ein Paar aus Afrika, das hatte nur Flipflops an den Füßen.“