Selbstversuch: In einer Zelle der Hansawache

Betrunken, unter Drogen, nach einem Überfall festgenommen — die Gründe, warum Menschen in Polizeigewahrsam landen, sind vielfältig.

Krefeld. Auf diesen siebeneinhalb Quadratmetern hat schon so mancher unfreiwillig die Nacht verbracht. Harter Beton, grau angestrichen. Fahles Licht fällt durchs Milchglas. Aus einer Lampe in unerreichbarer Höhe erhellt eine Energiesparlampe die Zelle in der Polizeiwache Süd an der Hansastraße. „Fünf Sterne würde es dafür wohl nicht geben“, meint Wachleiter Wolfgang Lindner, als er auf den Lichtschalter drückt und kaltes Neonlicht den Gang erhellt. Es ist der Zugang zu den sechs Räumen im Polizeigewahrsam.

Die wenigen Meter scheinen den Weg zu bereiten in eine andere Welt. Es ist warm. Unwillkürlich kommt der Wunsch auf, mal eben durchlüften zu können. Denn in der Luft hängt ein schwerer Geruch, der eine Mischung sein muss aus menschlichen Ausdünstungen der unterschiedlichsten Art und von Desinfektionsmittel. „Der geht hier nicht mehr raus“, sagt Lindner. Dabei ist hier nichts außer Beton und Zellentüren.

Hinter vierfach gesicherten Stahltüren — Riegel, Kette, Schloss und ein Hebel in Schienbeinhöhe, der mit dem Schuh betätigt werden kann — gibt es insgesamt sechs Zellen. Eine davon ist etwas größer und für zwei Personen vorgesehen. Doch Doppelbelegungen sind eher selten: Die Polizei will nicht riskieren, dass Menschen aufeinander losgehen.

Denn aggressiv sind sehr viele, die hier für ein paar Stunden zwangsweise eine Auszeit von der Freiheit nehmen müssen. Oft alkoholisiert und zugedröhnt von Drogen, randalieren regelmäßig Insassen in der Zelle. Dort, wo die Zargen in der Wand verankert sind, hat sich neben mehreren Zellentüren der Putz gelöst. „Da wird gegen die Tür geschlagen und getreten. Manche wollen sich auf diese Weise auch selbst verletzen“, sagt Wolfgang Lindner. Manche allein deshalb, um den Polizeibeamten zu drohen, dies werde auf die Einsatzkräfte zurückfallen.

Dabei achte man stets darauf, alles dafür zu tun, dass es zu Verletzungen gar nicht erst kommen kann: „Wir versuchen, Matratzen und Decken mit in die Zelle zu geben, damit man nicht auf dem nackten Beton liegen muss“, schildert der Wachleiter. Das ist aber nicht immer möglich. Das Problem: Jeder Gegenstand sei letztlich dazu geeignet, sich zu verletzen. „Es ist immer wieder eine Gratwanderung.“ Man könne auch nicht jedem einfach die Kleidung wegnehmen, schließlich wolle man die Menschenwürde wahren.

Doch bei aller Sorgfalt kann immer etwas passieren, was zum Glück selten ist. So gelang es im Mai 2011 einer 40-Jährigen, ein Feuerzeug in die Zelle zu schmuggeln, mit dem sie ihre Kleidung anzündete. Die automatische Brandmeldeanlage verhinderte Schlimmeres. Da die Frau — wie jeder vor dem Einschluss — intensiv untersucht worden war, stellte sich zunächst die Frage, wie der Gegenstand in die Zelle gelangen konnte. Das klärte sich später: Die 40-Jährige hatte das Feuerzeug in einer Körperöffnung versteckt, welche von Beamtinnen oder Beamten freilich nicht untersucht werden darf. Das kann allenfalls ein Arzt. Der wird ohnehin gerufen, wenn unklar ist, ob jemand gesundheitlich zu sehr beeinträchtigt ist fürs Wegsperren in die Zelle.

Zwei bis drei Stunden dauert ein Aufenthalt in der Regel. Wer länger da bleiben muss, für den besorgen die Beamten Brot und Aufschnitt. Stets ist ein Gewahrsamsbeamter abgestellt, um ständig zu kontrollieren, ob alles in Ordnung ist.

„Im Jahr 2012 hatten wird 1725 Gäste, davon 213 Frauen“, sagt Lindner. Etwa ein Drittel „saßen“, weil sie wegen eines Strafverfahrens kurzzeitig untergebracht werden mussten. Zwei Drittel verbringen einige Stunden zur Gefahrenabwehr und werden nach dem Polizeirecht eingesperrt, erläutert der Erste Polizeihauptkommissar. Und unter diesen gibt es regelrechte „Dauergäste“: Ein Mann kam im vergangenen Jahr 158 Mal in die Zelle. Im Gewahrsam ist seine wohl einzige Gelegenheit zum Duschen. Für ihn haben die Beamten immer wieder auch neue Kleidung bei der Caritas besorgt. „Weil die Justiz von ihm keine Anschrift kennt, schickt sie sogar die Post für ihn hierher. Die händigen wir dann aus“, sagt Lindner.

Als der Mann zwei Wochen mal nicht aufgegriffen wurde, machten sich die Beamten regelrecht Sorgen. „Wir haben dann aber erfahren, dass er in Düsseldorf im Krankenhaus behandelt wird.“