Zeltkirche So ist eine Mittagspause in einer einzigartigen Krefelder Kirche
Krefeld · Zu Ostern gibt es keine Gottesdienste. Ein Besuch in einer Kirche kann trotzdem eine besondere Wirkung haben. Ein Selbstversuch.
Um 15.04 Uhr sitze ich wieder am Homeoffice-Wohnzimmertisch und wecke den Laptop aus dem Ruhemodus. Ein Interview muss noch überarbeitet, dieser Text geschrieben, ein Online-Artikel mit den Coronavirus-Fallzahlen aktualisiert werden. Trotzdem fühle ich mich innerlich ruhiger als noch vor 28 Minuten. Dank des Themas dieses Artikels konnte ich mich selber in einen Ruhemodus versetzen. Die Mittagspause habe ich in die Zeltkirche St. Hubertus in Kliedbruch verlegt. Der Weg mit dem Fahrrad ist nicht weit. An der Moerser Straße entlang geht es am Stadtwald vorbei, es ist fast schwül warm, der Verkehr scheint nicht wirklich weniger an diesem Nachmittag - ein Oldtimer lässt eine dunkle Wolke frei, an der Kreuzung Europaring rauschen die Fahrzeuge entlang.
Enstchleunigung? Noch Fehlanzeige. Auch innerlich nicht. An der Fußgängerampel, die im Normalfall auch zahlreiche Schüler auf dem Weg zu den Bischöflichen Montessori-Schulen kreuzen, steigt Ungeduld hoch, schließlich schwirren im Hinterkopf noch die Aufgaben. Das rot leuchtende „Signal kommt“ am Ampelschalter blinkt rund zwei Minuten. Schließlich ist es geschafft. Ich kette mein Rad an eine Metallstange gegenüber, drum herum wächst in grünen Büscheln Löwenzahn. Im Aushang-Kasten der Gemeinde Sankt Hubertus grüßt die Ausnahme-Realität: Unter anderem wird darüber informiert, dass die Kar- und Ostergottesdienste ausfallen müssen. Aber: „Unsere Kirche St. Hubertus bleibt wie gewohnt immer zugänglich.“
Ich drücke eine Tür zu einer Art Zwischengang mit viel Glas auf. Es empfängt einen stickig warme Luft, fast wie im Eingangsbereich zum Schmetterlingshaus im Zoo. „Wir beten auch für alle von der Corona-Krise betroffenen“ ist hier zu lesen. Ich drücke eine weitere, massiv wirkende metallene Tür auf.
Dann Stille. Die wirkt im ersten Moment fast erdrückend. Die Geräusche des Verkehrs, der stetig weiter draußen vorbeirauscht, scheinen wie in Watte gepackt. Dumpf. Weit weg. Niemand ist da. Es ist so still, dass ein wiederkehrendes leichtes Knarzen fast erschreckend wirken kann. Wo es herkommt? Von der Orgel einer Firma aus den Niederlanden, die 1987 eine elektronische ablöste und heute fast futuristisch wirkt und die mit ein wenig Phantasie jeden Moment dampfend abheben könnte? Oder löst die eindrucksvolle Rundum-Verglasung die Geräusche aus? Über die informiert auch eine von 16 Texttafeln, mit denen der Bürgerverein des Stadtteils einen Kulturwanderweg versehen hat. Das „umlaufende Fensterband taucht den Raum in ruhige, rhythmisch pulsierende Grau-Blautöne“, ist dort zu lesen. Und dass Gemeindemitglied und renommierter Künstler Hubert Spierling dieses Werk schuf. Es passt zur Stille. Wenn man durch eines der helleren Elemente in Richtung Straße blickt, wirkt das wie ein Blick durch ein Milchglas, die Außenwelt erscheint verschwommen, weit weg. Der Innenraum der Kirche wirkt schlicht, angenehm klar. Nichts lenkt ab. Die Bankreihen werden von weißen, langgezogenen Lampen eingefasst, die in gerade Linie zum Altar führen. Eindrucksvoll wirken die Stahlträger der Dachkonstruktion, die spitz nach oben zuläuft. Von innen wirkt der Bau größer als von außen. Fast, als wäre der Rumpf eines Schiffes umgekehrt auf das Land gekippt worden. Auf Bürger-Initiative reifte in den 50er Jahren die Idee, dort eine Kirche zu errichten, die aus einer demontierbaren Stahlkonstruktion besteht. Denn eigentlich war dort eine Nordumgehung geplant, heißt es auf der Info-Tafel des Bürgervereins. Heute sei das 1959 geweihte „Gesamtkunstwerk“ nicht mehr Provisorium, sondern Denkmal. Rund 15 Minuten später hat sich die Welt draußen nicht verändert, der Verkehr rauscht weiter. Aber: Die Ruhe der Zeltkirche wirkt später auch noch am Wohnzimmer-Schreibtisch nach.