Krefeld An der Westparkstraße lernen Erwachsene das ABC
In einem Kurs an der Westparkstraße bringen pensionierte Lehrer geflüchteten Menschen die Sprache, das Lesen und Schreiben bei.
Krefeld. Konzentriert, in eckiger Kinderschrift malt Mulki Mahmud ihren Namen in den Notizblock. Die Buchstaben stehen weit auseinander, fast so, als gehörten sie gar nicht zusammen. Die 26-jährige Frau mit dem sonnengelben Kopftuch lächelt stolz. Vor zwei Jahren ist sie aus Somalia nach Deutschland geflüchtet — ohne das Land, die Kultur, ohne die Sprache ihrer neuen Heimat zu kennen. In der Flüchtlingsunterkunft an der Westparkstraße soll sich das ändern. Gemeinsam mit anderen Flüchtlingen besucht Mulki Mahmud hier einen Alphabetisierungskurs. Das Ziel fasst Alfred Kuhn, der den Kurs ehrenamtlich leitet, knapp zusammen: „Die Teilnehmer lernen hier erst einmal drei Dinge: Buchstaben zu hören, zu schreiben und zu lesen.“
Wiltrud Weisser bringt Flüchtlingen ehrenamtlich Deutsch bei
Kuhn ist pensionierter Grundschullehrer, bis zum vergangenen Sommer hat er die Regenbogenschule geleitet. Alphabetisierung — das nennt er „Alltagsgeschäft“. Trotzdem: „Es gibt natürlich Unterschiede zur Grundschule. In der ersten Klasse kennen die Kinder Begriffe wie Bauch, Hund, Sonne in der Regel — sie müssen dann lernen, sie zu lesen und zu schreiben.“ Im Unterricht mit den Flüchtlingen fangen Kuhn und seine Kollegin Wiltrud Weisser, ebenfalls pensionierte Grundschullehrerin, bei Null an. „Manchmal funktioniert die Kommunikation einfach mit Händen und Füßen“, sagt Weisser.
Ob ABC, ei und au oder ä, ö, ü — eineinhalb Stunden, vier Tage die Woche und das einen Monat lang, haben sich die Teilnehmer — überwiegend Flüchtlinge aus Syrien, aber auch aus Serbien und Mazedonien, Afghanistan, dem Irak, Nigeria oder Somalia — an der Westparkstraße intensiv mit der deutschen Sprache auseinandergesetzt. „Viele waren noch nie in der Schule, andere können Arabisch schreiben, aber nicht das lateinische Alphabet“, sagt Alfred Kuhn.
Anna Mitrovic ist mit ihrem Mann und den vier kleinen Kindern vor knapp zwei Jahren aus Serbien nach Krefeld gekommen. Nun will sie bei Alfred Kuhn und Wiltrud Weisser besser Deutsch lernen. Warum sie mit ihrer Familie ihr Heimatland verlassen hat? „Unser drei Monate altes Baby ist in Serbien gestorben. Hier haben unsere Kinder etwas zu essen, Kleidung, hier sind Ärzte, die uns helfen können, wenn die Kinder krank sind.“
Es sind Schicksale wie dieses, die Alfred Kuhn oft nachdenklich stimmen, die ihn aber auch in seinem ehrenamtlichen Engagement bestätigen. „Ich sehe es als meine Aufgabe als Christ, mich für andere Menschen einzusetzen.“ Bereits im Oktober hat er mit den Alphabetisierungskursen an der Westparkstraße angefangen, einmal wöchentlich — und mit keinem zufriedenstellenden Ergebnis. „Ein roter Faden, Kontinuität und Konsequenz beim Lernen sind wichtig“, das weiß der pensionierte Lehrer aus Grundschulerfahrung. „Eine Stunde in der Woche ist da viel zu wenig.“
Das Ergebnis des vierwöchigen Intensivkurses gibt ihm recht: „Einen so erfolgreichen Kurs haben wir noch nicht zustande gebracht“, betont Flüchtlingskoordinator Hansgeorg Rehbein. „Die Durchhaltequote ist enorm.“ Kuhn nickt bestätigend. 16, vielleicht 18 von gut 30 Teilnehmern seien in den vergangenen Wochen regelmäßig zum Unterricht an die Westparkstraße gekommen. Was ihn besonders freut: „Die Leute sind sehr diszipliniert und dankbar.“ Einige Teilnehmer könnten jetzt nahtlos in einen Fortgeschrittenenkurs übergehen, darauf ist Kuhn stolz. Er hat aber auch seine Sorgenkinder, „die müssen weiter intensiv gefördert werden“. Für sie wollen Kuhn und Weisser im Mai einen weiteren zweiwöchigen Kurs geben.
Auch Flüchtlingskoordinator Rehbein hebt die Bedeutung dieser ehrenamtlichen Angebote hervor: Der Anteil der Analphabeten unter den Geflüchteten sei mit 18 bis 20 Prozent sehr hoch, die Kursangebote der VHS reichten für den Bedarf nicht aus. Ohnehin: Anspruch auf einen Integrationskurs hätten nur Asylbewerber aus den Herkunftsländern Iran, Irak, Syrien, Eritrea und Somalia — für Geflüchtete anderer Nationalität gilt: „Erst wenn ihr Asylantrag genehmigt ist, haben sie Anspruch auf einen Sprachkurs“, erklärt Rehbein, „dann ist er sogar Pflicht.“
Allerdings: „Es gibt in Krefeld unendlich viele Menschen, die keinen Anspruch haben“, bedauert der Flüchtlingskoordinator und betont: „Ich halte es für falsch, Menschen, die hier nur geduldet werden oder gegen ihren Ablehnungsbescheid klagen, bei den Sprachangeboten zu ignorieren.“ Genau hier setze das Ehrenamt an. „Da schaut keiner danach, ob jemand Anspruch auf einen Kurs hat oder nicht.“ Deutsch darf hier jeder lernen. Unabhängig von Nationalität, Alter und Aufenthaltsstatus.