Eine Postkarte mit Visionen
Helmut Vinzentz besitzt einen Gruß aus dem Jahr 1900, die Gondeln zeigt.
Cracau. Es ist die Idylle pur: Eine Gondel trägt ein verliebtes Pärchen über den Kanal, das sich mit einem Schirm vor der Sonne schützt. Der Gondoliere singt ein Lied dazu. Venedig lässt grüßen? Von wegen. Im Hintergrund ist nicht der Markusplatz zu sehen, sondern die Dionysius-Kirche. "Gruss aus Krefeld im 20ten Jahrhundert" steht oben rechts auf der Postkarte, die noch allerlei Erstaunliches zu bieten hat.
Etwa den "Seidenwurm", ein großes Schiff, das an der Rheinstraße anlegt. Und über allem thronen die Gondeln der Seilbahn, die den Passagieren eine luftige Aussicht über die Krefelder Innenstadt bieten. Welcher Städteplaner hat sich denn hier verewigt?
Die Karte ist nicht mehr taufrisch. "Abgestempelt wurde sie am 19. März 1900. Aber man sieht, über die Gestaltung der Innenstadt haben sich die Leute immer schon Gedanken gemacht", sagt Heimatforscher Helmut Vinzentz. Während er die aktuelle Ostwall-Diskussion verfolgte, erinnerte er sich an die über 100 Jahre alte Postkarte. Umgesetzt wurde von den zugegeben malerischen Projekten allerdings keins. "Es gab wohl mal Pläne, einen Kanal von Uerdingen zu verlegen. Daraus ist nichts geworden."
Die großen Zeiten, als der Ostwall noch ein Prachtboulevard war, liegen zurück. "Früher sind wir sonntags immer über den Ostwall promeniert. Heutzutage geht das doch gar nicht mehr richtig mit all den Seiten- und Querstraßen", sagt Vinzentz. Bei der Entwicklung der Stadt war beim Zeichner auch eher der Wunsch Vater des Gedankens. Autos zum Beispiel verbannte er aus der Innenstadt. Wer mobil sein wollte, fuhr Rad oder nahm die Bahn.
Auch den Fortschrittsverein, dem zu Ehren die dankbaren Krefelder sogar ein Denkmal errichtet hatten, gab es nie. Vielleicht dringt dabei aber auch durch, dass es der Meister nicht ganz so ernst mit seinen Ideen meinte. Denn der "deutsche Michel" sitzt auf einem Sockel mit vier Schnecken - als Sinnbild für den rasanten Fortschritt...
"Es gibt so viele Postkarten mit Krefelder Bezug", weiß der 83-Jährige. Aber diese sei auf jeden Fall sein Liebling. Mehrere tausend Exemplare hat er selbst in seiner Sammlung gehabt, die älteste stammte aus dem Jahr 1894. Doch vom Großteil hat er sich trennen müssen. "Es gibt keinen in meiner Familie, der weiter sammelt", sagt er. Auch die "Gruß aus Krefeld"-Karte besitzt er nicht mehr im Original.
Aber so ganz ohne Sammeln kann der Rentner nicht. Luftschiffe sind seine zweite Passion - und natürlich fehlt der Bezug zu seiner Heimatstadt nicht. Vinzentz holt einen Ordner aus dem Schrank und präsentiert Fotos. Luftschiffe, Zeppeline, alle über Krefeld fotografiert. Früher sei der Auftritt einer der "fliegenden Zigarren" über der Stadt ein echtes Ereignis gewesen.
"In den 30er Jahren wurde das immer groß in der Zeitung angekündigt. Dann haben die Leute alles stehen und liegen gelassen." Er selbst sei sogar einmal in einem Zeppelin gefahren. "Das war ein Erlebnis." Und zumindest ließ es sich leichter realisieren, als eine Gondelfahrt auf dem Krefelder Kanal.