Als Reservist in Afghanistan
Hans Riskes hat den Abzug der Bundeswehr aus Faizabad mitorganisiert. Auch im Kosovo war der 64-Jährige im Einsatz.
Krefeld. Wenn Hans Riskes von seiner Zeit bei der Bundeswehr im Kosovo und in Afghanistan erzählen soll, wirkt er fast ein wenig hilflos. „Wo soll ich bloß anfangen?“, fragt er. Zu umfangreich sind die Eindrücke, die er in den fremden Ländern gesammelt hat, zu viele Geschichten hat er mit nach Hause gebracht — fröhliche, traurige und auch solche, die Hoffnung machen.
Ins Ausland wollte Reservist Riskes schon immer. Als sich dem Oberleutnant die Gelegenheit bot, die Bundeswehr zu unterstützen, sagte er sofort „Ja“. Viermal vier Monate hat Riskes in den Jahren 2005/6 und 2011/12 im Ausland verbracht, zweimal war er in Afghanistan, zweimal im Kosovo stationiert. Vergleichbar sei die Arbeit in diesen Ländern nicht, sagt er. Im Kosovo habe er sich relativ frei bewegen können. „Die Menschen waren sehr dankbar, dass wir sie beschützen.“
Ganz anders in Afghanistan. Dort durfte der heute 64-Jährige sich nur in geschützten Fahrzeugen und in größeren Gruppen außerhalb des Stützpunktes bewegen — und das nur in voller Montur mit Weste und Helm: „30 Kilogramm Gewicht haben wir bei 40 Grad im Schatten mit uns herumgetragen“, berichtet Riskes, der vor seiner Pensionierung hauptberuflich als Verwaltungsbeamter arbeitete.
Ähnlich sei in beiden Ländern nur die bittere Armut, in der die Menschen leben, sagt Riskes und entschließt sich, mit seiner Erzählung im Kosovo zu beginnen. Dort hatte Riskes die Aufgabe, den Rückzug der Bundeswehr vorzubereiten, das Camp, in dem die Soldaten untergebracht waren, aufzulösen. Dazu gehörte auch, das Gebiet in der Nähe von Prizren, das die Armee von Ortsansässigen gepachtet hatte, neu zu vermessen. Mit Moniereisen steckte der Landvermesser das Gelände ab, doch die Eisen waren bereits nach einer halben Stunde verschwunden. Einheimische hatten sie eingesammelt, um sie zu Geld zu machen. Eine Handlung, für die Riskes Verständnis hat.
„Wir haben eine Familie mit fünf Kindern kennengelernt, die in einem Haus lebte, dessen Erdgeschoss ausgebrannt war. Wasser gab es nur im Hof, im Winter froren die Leitungen ein. Der Vater war krank“, erzählt Riskes. Am liebsten, gibt er zu, hätte er all diesen Menschen geholfen. „Aber das ist unmöglich“. Das gilt auch für die Bevölkerung in Afghanistan, wo die Armut noch stärker spürbar sei.
Einmal hätten die Bundeswehr-Ärzte einen Afghanen behandelt, der sich mit schweren Brandverletzungen bei ihnen gemeldet hatte. Ein Propangaskocher, gefüllt mit verunreinigtem Gas aus Pakistan, sei explodiert — in Afghanistan komme das häufig vor. „Natürlich haben wir geholfen. Aber auch gehofft, dass der Mann das nicht weitererzählt. Sonst hätten am nächsten Tag 300 Hilfesuchende vor der Tür gestanden.“
Auch in Afghanistan war Riskes für die Auflösung eines Lagers mitverantwortlich. Das Lager in Faizabad machte Schlagzeilen, weil es das erste große Camp der Bundeswehr in Afghanistan war, das geschlossen und anschließend der afghanischen Polizei übergeben wurde. Acht Jahre lang hatten dort rund 2000 Menschen gelebt, Container aufgestellt, eine Kirche gebaut, ein Postamt aufgebaut.
„Wir mussten uns sehr genau überlegen, was wir einpacken und was nicht“, berichtet Riskes. „Ein Kilo Luftfracht hat die Bundeswehr rund 35 Euro gekostet.“ Aber auch sicherheitsrelevante Fragen mussten bedacht werden. Ein Militärfahrzeug habe man zum Beispiel nicht in Faizabad lassen können. „Es hätte Attentäter in die Hände fallen können, die sich darin als westliche Kräfte hätten ausgeben können.“
Riskes’ Arbeit war nicht ungefährlich. Nach und nach wurden die Soldaten abgezogen, das Risiko, angegriffen zu werden, stieg. Riskes aber blieb. „Selbstmordattentäter und improvisierte Sprengmittel stellen ein großes Problem dar. Aber wenn man sich von seinem Gefühl überwältigen lässt, kann man diese Arbeit nicht machen“, sagt er. Schließlich seien er und seine Kollegen sieben Tage die Woche im Einsatz, 7/24 nennen sich diese Schichten, bei denen die Soldaten auch nach Feierabend innerhalb einer halben Stunde einsatzbereit sein müssen. „Doch der Zusammenhalt in der Truppe ist eng. Das hilft“, erklärt Riskes. „Nur die letzten drei Wochen, bevor es wieder nach Hause geht, werden alle spürbar dünnhäutiger und empfindlicher.“
Obwohl bei seinem ersten Einsatz in Afghanistan drei Kameraden aus der Dienststelle durch einen Selbstmordattentäter starben, will Riskes die Erfahrung im Ausland nicht missen, sagt er und erzählt von dem Bündel, das polnische Kameraden am Straßenrand fanden. Erst dachten sie, es handele sich um einen Sprengsatz, doch in den Stoff war ein zwei Tage altes Baby eingewickelt. Die Soldaten päppelten das Kind auf und übergaben es einem kinderlosen afghanischen Ehepaar, das es adoptierte.
Für Riskes ist das einer der Gründe, warum er seinen Job trotz aller Widrigkeiten für sinnvoll hält: „Die älteren Menschen in Afghanistan kennen nichts anderes als den Krieg. Aber die Kinder sind unsere Hoffnung.“