Textildesign: Dekolleté aus Pappmaché

Der Krefelder Textildesigner Kurt Ullrich zeigt an Figurinen die Modeentwicklung eines ganzen Jahrhunderts.

Uerdingen. „Gina“ trägt ein lachsfarbenes trägerloses Kleid mit weitschwingendem Rock im femininen Stil. Der breite Gürtel betont die enge Wespentaille. Das üppige Dekolleté wird durch den großzügigen Schnitt betont. Man könnte vermuten, „Gina“ sei ein Topmodel, das die Sommerkollektion dieses Jahres trägt, doch damit liegt man völlig falsch. „Gina“ ist nicht aus Fleisch und Blut, sondern aus Pappmaché. Auch das aufwendig gestaltete Kleid ist nicht aus Samt und Seide, sondern aus Polyaethylenfolie. „Gina“ ist eine von insgesamt zwölf Figurinen, anhand derer der Krefelder Textildesigner Kurt Ullrich die Modeentwicklung eines ganzen Jahrhunderts dokumentiert hat.

„Von der Wespentaille bis zum Punker-Look“ hat der 73-Jährige seine private Ausstellung genannt, die die Mode zwischen 1868 und 1968 darstellt. „Gina“ verkörpert den „New-Look“ von Christian Dior aus dem Jahr 1950, dessen Merkmale vor allem eine enge Taille, kombiniert mit wadenlangen, weitschwingenden Röcken sind.

„Eleonore“ aus dem Jahr 1910 trägt ein schwarz-weißes Abendkleid, das an den Knien eng zuläuft. Dabei handelt es sich um den Turnüre-Stil, erklärt der Textildesigner. „Die Mode war sehr geradlinig mit leichtem Profil. Mithilfe eines Drahtgeflechts habe ich deshalb den Po aufgepolstert und betont.“

„Rita“ verkörpert die Kriegsmode aus dem Jahr 1940 und trägt ein fast bodenlanges Kleid mit Blumenmustern. „In den 40er Jahren hatten die Frauen andere Probleme als sich schön zu kleiden. Die Französinnen aber haben sich während der deutschen Besatzungszeit sehr schick angezogen“, sagt Ullrich.

Die Kleider bestehen aus billiger Baumarktfolie, was dem Betrachter allerdings auch beim zweiten Hinsehen nicht auffällt. „Die Polyaethylenfolie beschichte ich mit Acrylfarben, damit imitiere ich das Textilaussehen“, sagt der Pensionär, der seine Figurinen in der Garage lagert. Neben der Kleidung stellt der Modehistoriker auch Schmuck und Accessoires für die Puppen selbst her. So bilden Litzenaugen von Webstühlen eine geradlinige Halskette.

Seine aufwendig gestalteten Figurinen hat der Künstler bereits im Greifenhaus-Schlössschen, im Textilmuseum, im Pauly-Stift und in seinem Garten der breiten Öffentlichkeit präsentiert.

Durch ihre besonders grazile und S-förmige Statur fällt dem Betrachter vor allem „Isadora“ ins Auge. Die Figurine stellt die Mode von 1900 dar. „In dieser Zeit hat man versucht, den Kleidungsstil dem Baustil, damals dem Jugendstil, anzupassen“, sagt Ullrich. Dieser zeichnete sich vor allem durch seine fließenden S-Formen aus. „Der Busen wird nach oben gedrückt, der Bauch eingezogen, durch das Hohlkreuz wird der Po heraus gestreckt“, erklärt der Künstler. „Diesen Stil fand man todschick.“

Für die Herstellung der Figurinen benötigt der Textildesigner zuerst eine Eins-zu-Eins-Zeichnung von dem Körper, der im goldenen Schnitt entsteht. Mithilfe eines indirekten provisorischen Skeletts aus Holz und Draht modelliert der Künstler die äußere Kontur. Darüber formt er Maschendrahtzaun, der mit einem Gemisch aus Zeitungspapier der Westdeutschen Zeitung, Wasser und Tapetenkleister bestrichen wird. Mit heller Acrylfarbe erzielt Ullrich einen hautfarbenen Ton.

Seine jüngste und zumindest vorerst auch letzte Figurine ist losgelöst von der eigentlichen Sammlung. Sie stellt die Krefelder Sängerin Andrea Berg dar, mit Minirock und Corsage.

In all den Jahren sind Kurt Ullrich seine Figurinen ans Herz gewachsen. „Da entsteht eine richtige Beziehung“, sagt der Künstler. In Zukunft will sich Ullrich aber mit einer anderen spannenden Idee beschäftigen. „Ich möchte aus all den Dingen, die ich in der Vergangenheit gesammelt habe, eine Maschine bauen“, sagt er schmunzelnd. „Eine, die nichts produziert, einfach nur zum Gucken.“