Zeitzeugen: Der Bunker - ein Ort des Schreckens und der Zuflucht
Der Beton-Riese Am Röttgen wird abgerissen. Heute passt er nicht mehr ins Stadtbild, in den Kriegsjahren bot er Schutz vor den Bomben. Uerdinger erzählen ihre Bunker-Geschichten.
Krefeld. Noch sechs bis acht Wochen wird es dauern, dann ist der Uerdinger Bunker am Röttgen endgültig Geschichte. Stück für Stück wird der Beton-Koloss derzeit abgetragen, um Platz zu schaffen für ein neues Geschäftshaus. Bis dahin prägte er 67 Jahre lang das städtebauliche Bild an der Kurfürsten- und Von-Brempt-Straße. Deshalb wird der Bunker für viele ältere Uerdinger auch nach seinem Abriss für immer in Erinnerung bleiben - sei es als Ort des Schreckens oder als Lebensretter. "Die zivile Bevölkerung musste damals unter menschenunwürdigen Verhältnissen leben", schildert Elisabeth Kremers vom Stadtarchiv, "im Bunker fielen die Sanitäranlagen aus, und der Lüftungsschacht wurde aus Sicherheitsgründen geschlossen."
Die heute 74-jährige Irmgard Normann erinnert sich noch daran, dass sie im Bunker sogar Schulunterricht miterlebt hat. "Aus Angst habe ich in den letzten Kriegsmonaten den Bunker gar nicht mehr verlassen. Meine Mutter hat mir das Essen dahin bringen müssen. Durch die Luftlöcher konnten wir das Brummen der Bomber hören. Wir saßen immer ziemlich weit oben. Manchen Bürgern waren eigene Kabinen zugeordnet worden. Die mussten nicht wie wir immer alles mitschleppen, konnten ihre Decken und Kissen einfach da lassen. Über so manche Anekdote lachen wir heute, aber damals war schon alles sehr beklemmend. Auf uns Kinder wurde auch nicht viel Rücksicht genommen. Vergessen kann mal das alles nicht."
Margot Kother und ihre Familie gehörten zu denjenigen, die über eine eigene Kabine im Bunker verfügten. "Oft hat meine Mutter aber auch andere Leute auf ihrem Bett Platz nehmen lassen", erinnert sich die 77-Jährige. "Anfangs waren wir nur bei Fliegeralarm drin, später haben wir auch dort geschlafen. Versorgt wurden wir in dieser Zeit von meinem Vater, der zu alt war für die Front. Er weigerte sich, unser Haus an der Bruchstraße allein zu lassen. Bei großen Angriffen hat der Beton-Klotz richtig gewackelt." Margot Kother hat bis 1966 in Sichtweite des Bunkers gewohnt. "Er gehört zu meiner Kindheit und Jugend." Deshalb habe sie auch bei ihrem jüngsten Besuch in Uerdingen vor rund zwei Wochen beim Anblick des Bunkers zwiespältige Gefühle entwickelt. "Es war fast ein wenig Bedauern zu spüren. Schließlich hat uns der Bunker das Leben gerettet."
"Scheußliche Bilder" hat auch Gerhard Küppers noch immer im Kopf, wenn er an den Krieg zurück denkt. "Damals gab es keine psychologische Hilfe für uns Kinder", sagt der inzwischen 76-Jährige. "Bei Angriffen waren alle Leute im Bunker wach und ängstlich. Es war einfach furchtbar." Auch seine Familie hatte einen eingetragenen Stammplatz im Bunker am Röttgen. "Wir waren in der fünften Etage untergebracht, meine Eltern, meine Schwester und mein Bruder."
Annemie Husemann erinnert sich noch gut: "Die Klosetts waren verstopft, es war einfach furchtbar. Die letzten Tage sind wir gar nicht mehr aus dem Bunker rausgekommen. Die Menschen saßen und standen in den Gängen und auf den Treppen. Und es kamen immer mehr Menschen. Das alles kann man gar nicht beschreiben", schildert die heute 76-Jährige. Tatsächlich suchten im März 1945 über 5000 Uerdinger Schutz vor dem Beschuss. "Geplant war jedoch, dass 3300 darin Platz finden", weiß Elisabeth Kremers. Trotz der vielen Erinnerungen ist Annemie Husemann froh, "wenn der Schandfleck endlich verschwunden ist".
Richtig froh war Gertrude Grimm, als sie 1944 endlich in den Bunker konnte. "Ich hatte 1943 eine Lehre bei einem Uerdinger Friseur begonnen. Er bestand darauf, dass wir bei Angriffen mitsamt der teilweise schweren Dauerwell-Apparate in den Keller gingen. Erst nach einem Angriff mit einer Brandbombe auf das Haus erlaubte er es uns, im den Bunker Schutz zu suchen." Anders als wohl die meisten Zeitzeugen freute sich der damalige Teenager darüber, "im Bunker endlich Gleichaltrige zu treffen. Über die Gefahr haben wir gar nicht nachgedacht", sagt Gertrude Grimm, heute 79 Jahre alt. "Manchmal haben wir sogar die Entwarnung verpasst, und unser Lehrmeister wartete dann schon ziemlich sauer im Laden auf uns." Wenn sie heutzutage ihrer Freundin in Uerdingen einen Besuch abstattet, empfindet sie den Anblick des Bunkers als "entsetzlich". "Jetzt wird er endlich abgerissen."
Rolf Papenfuß (69) begrüßt den Abriss. Er wurde 1938 an der Augustastraße in der Nähe des Bunkers geboren. "Und dieses hässliche Gebilde hat mich jahrzehntelang in Uerdingen begleitet. Zum Glück habe ich den Bunker in den Kriegstagen nur einmal benutzen müssen, als bei einem Bombenalarm meine Mutter, mein jüngerer Bruder und ich dort Schutz suchen mussten." Er kann sich noch gut an die vielen verzweifelten Menschen dort erinnern - und an die stickige Luft. Doch noch etwas ist Rolf Papenfuß in Erinnerung geblieben: "In den 50er Jahren hatte die Camilla-Meyer-Truppe zusammen mit der weltberühmten Traber-Truppe ungefähr von der halben Höhe des Bunkers ein langes Drahtseil über das Röttgen bis zu den Platanen gespannt. Auf diesem Seil führten sie mit ihren Motorrädern waghalsige Kunststücke auf. Einer der Traber-Söhne wurde dabei vom Motorrad auf die Erde geschleudert und blieb bewusstlos liegen. Wir waren froh, dass seine Verletzungen nicht so schwer waren."
1948 geboren, hat Wilhelm Dick den Bunker vor allem als interessanten, abenteuerlichen Spielplatz kennen gelernt. "Es gab ein Loch, durch das wir als Kinder immer rein geklettert sind. Von ganz oben hatte man einen wunderschönen Ausblick. Die von der Schul-Hausmeisterin herbei gerufene Polizei hat uns nie geschnappt: Bis dahin spielten wir längst wieder unschuldig auf dem Röttgen, damals noch ein Ascheplatz, Fußball." Dass der Schandfleck nun verschwindet, darüber ist Wilhelm Dick froh. "Der Bunker erinnert zu sehr an schlimme Zeiten."
Wenn es nach Hubert Henseler ginge, würde der Bunker stehen bleiben. "Als Mahnmal, um zu zeigen, dass so Vieles passiert ist. Als damals sieben, acht Jahre alter Junge hat man doch so viel Furchtbares mitbekommen", sagt er. Groß geworden ist der inzwischen 70-Jährige im Schatten des Bunkers. "Anfangs hatte er noch ein schräges Dach. Das wurde eines Tages ohne Vorwarnung - es gab lediglich ein lautes Rummsen - durch Fliegerbomben zerstört."