Gastspiel „Leben war eine Achterbahnfahrt“

Krefeld · INTERVIEW TV-Kommissar Stefan Jürgens kann auch singen. In Krefeld präsentiert er sein Album „Was zählt“ in der Kulturfabrik.

Stefan Jürgens hatte mit 15 Jahren bereits eine eigene Band. Der Liedermacher in ihm ist nicht neidisch auf den Schauspieler, sagt er.

Foto: Petro Domenigg

Herr Jürgens, die meisten Leser kennen Sie als Schauspieler, wie sind Sie zur Musik gekommen?

Stefan Jürgens: Noch bevor ich Theater gespielt habe und eine Rampensau sein durfte, habe ich im stillen Kämmerlein am Klavier gesessen und sentimentale Texte vertont. Damals hatten wir Kinder auf dem alten Klavier meines Opas spielen gelernt. Ich habe es gehasst wie die Pest. Doch in der Pubertät, als das Leben alles andere als ein langer roter Fluss wurde, habe ich zu Hause gesessen und Gedichte vertont. Das ging dann so weit, dass ich mit 15 meine erste Band hatte. Seitdem habe ich viele musikalische Stationen gehabt. In meiner Heimatstadt Unna gab es zu der Zeit ein großes kulturelles Angebot für Musiker. Tatsächlich habe ich im Orchester Jazz-Rock und klassischen Kontrabassunterricht gehabt. In dem Alter hatte ich das Glück auch den Sänger Rio Reiser zu erleben. Außerdem hatten wir durch unseren Kulturdezernenten einen sehr starken Kontakt zum WDR, sodass wir auch viele Konzertreihen mit Musikern in unserer Stadt hatten. Ich habe Michael Davis und viele andere gesehen. Bei uns in Unna war die Hölle los.

Sie spielen in der Soko Wien einen TV-Kommissar, diese Rolle haben Sie auch schon in anderen Formaten übernommen. Haben Sie davon manchmal genug?

Jürgens: Man macht viele Pläne. Ich wollte immer Theaterschauspieler werden, und heute sieht man, was aus diesem einfachen Wunsch geworden ist. Das Leben geht die unterschiedlichsten Wege. Ich war Tatort-Kommissar, aber ich war auch zehn Jahre am Theater. Dann habe ich fünf Jahre Comedy gemacht und auch selber entwickelt. Vieles davon sind Dinge, die man nicht von Anfang an auf dem Zettel hatte. Einiges davon binde ich auch heute noch in meine Konzerte mit ein. Das ist auch das Schöne, dass man das alles über die Jahre miteinander verbinden kann. Gerade bei den Konzerten kommt immer ein bisschen Stand-Up-Comedy mit vor, ich kann ja mein blödes Mundwerk nicht halten. (lacht)

Würden Sie auch gerne nochmal in einem Comedy-Format wie RTL Samstag Nacht mitmachen?

Jürgens: Das Format Samstag Nacht hat wirklich Spaß gemacht. Es war sehr Tabu brechend und bekannt. Das war ein großes Glück. Doch danach musste was Neues kommen. Nach der Comedy habe ich zwei Jahre lang den Tatort-Kommissar gespielt. Das war mir dann irgendwann auch zu viel, weil ich wieder auf die Theaterbühne wollte. Mein Leben war in den letzten 25 Jahren wie eine Achterbahnfahrt. Viele Pläne, die man macht, gehen auch nicht auf. Aber das ist eben so. Ich hätte aber auch keine große Motivation dazu, sowas wie Samstag Nacht noch einmal zu machen. Das große Glück ist, dass man sich schon mit jungen Jahren ausprobiert hat. Das war eine grandiose Zeit. Das war Rock’n’Roll. Und ich wüsste nicht, warum ich mir rückwirkend noch einmal eine eigene Konkurrenz schaffen sollte und dann auch noch beweisen müsste, dass ich früher komischer war. Es liegt einfach nicht in meiner Lebensstrategie, Dinge zu wiederholen.

Welche Rolle würden Sie gerne mal spielen?

Jürgens: Es gibt so vieles, was ich mir noch vorstellen könnte. Dazu gehört grundsätzlich nichts, was schon hinter mir liegt. Ich versuche eigentlich jedes Jahr etwas Neues. Gerade haben wir eine riesige Tour gestartet, das ist wirklich ein Riesenevent. Es war auch ein Traum, so lange hintereinander zu touren und richtig heiß zu laufen. Im März kommt dann auch schon das nächste Album. Es gibt so viele Dinge, die derzeit in Planung stehen, und vieles, was ich noch in meinem Kopf habe.  Aber im Grunde lasse ich mich da ein bisschen überraschen.

Wie funktionieren die Dreharbeiten, das Touren und das Familienleben nebeneinander?

Jürgens: Ich habe wirklich ein wunderbares Team um mich herum, das sehr auf mich aufpasst. Natürlich muss man seinen Teil dazu beitragen. Meine Kinder sind auch schon erwachsen und haben ein wildes Leben mit mir verbracht. Vor einer Woche habe ich meine Tour angefangen und bin die ganze Zeit mit einem großen Bus unterwegs gewesen, da war natürlich klar, dass vier Plätze für meine Kinder reserviert sind. Mein Sohn war fünf, als ich das erste Mal auf der Bühne stand. Also die kennen dieses Leben. Dementsprechend haben wir in den über zwanzig Jahren gelernt, dass unsere Zusammenkünfte qualitativer Art sind und nicht quantitativer. Manchmal fehlen ein paar Wochen, wo wir uns nicht sehen können. Da gibt es aber zum Glück moderne Kommunikationsmittel. Wir haben trotzdem einen sehr intensiven Austausch im Familienleben. Meine Kinder haben durch dieses Leben auch eine sehr große Selbstständigkeit und Eigenverantwortung entwickelt. Darauf bin ich sehr stolz. Es ist ein sehr schönes Geschenk, wenn man älter wird. Mein Vater hat mir einen Spruch weitergeben, an den ich mich mein Leben lang versuche zu halten: „Alles, was du rausgibst, kriegst du auch wieder zurück.“

Mit Ihrem neuen Album „Was zählt“ kommen sie nach Krefeld – können Sie Ihre Musik kurz beschreiben? Sind Ihre Songs autobiografisch?

Jürgens: Wir sind alle ein bisschen verwirrt. Ich glaube, jeder weiß nicht so recht, was in unserer Welt momentan passiert. Man kann die Dinge nicht mehr so richtig einsortieren, da sie auch in einer unglaublichen Vielzahl über einen hereinbrechen. Schon früh wollte ich etwas schreiben, was sich die Balance hält, sozusagen die Spreu vom Weizen trennen. Ich wollte auch diese ganzen Modeerscheinungen weglassen. Darum habe ich dann zwölf Songs geschrieben, die mich selbst in Balance halten. Dinge, die mir wichtig sind und auf die ich zählen kann, wenn es darauf ankommt. Da gibt es den Song „Alter Tisch“. Hier habe ich beschrieben, was so ein altes Möbelstück – das materiell keinen großen Wert hat, aber emotional seit vierzig Jahren an meiner Seite ist – für einen Wert hat. Im Prinzip liefern meine Songs Koordinaten fürs Leben. Man soll immer wieder wissen, wo man steht. Es gibt auch ein Stück, das heißt „Dialog mit einem alten Freund“. Es ist tatsächlich ein jährlich stattfindendes Ritual bei mir, mit einem vor langen Jahren verstorben Freund ein Zwiegespräch zu führen. Einfach mit dem Hintergrund, was würde der wohl denken, wenn er dich heute sieht. Würde er dich noch erkennen? Bist du dir selber treu geblieben? Solche Dinge sind für mich sehr wichtig geworden. Es geht in meinen Songs um Familie, um meinen Vater; es geht um all´ diese Dinge die außerhalb von Postings liegen. Eben auch um Beständigkeit, um Rückzugsmöglichkeiten – um eine innere Balance.

Wenn Sie sich zwischen der Schauspielerei und der Musik entscheiden müssten, was würden Sie wählen?

Jürgens: Seitdem ich 19 bin, habe ich von meiner Schauspielerei leben dürfen. Das hatte zur Folge, dass der Musiker immer der schüchterne und kleinere Bruder des Schauspielers war. Er stand etwas im Hintergrund. Diese beiden Jungs sitzen heute gemeinsam an einem Tisch und schauen sich an. Sie sind nicht voneinander zu trennen und wollen auch nicht ohne den anderen. Wenn ich die Schauspielerei betrachte, sehe ich die wunderbare Auseinandersetzung mit andersartigen Charakterzügen, die große Lust bedeuten können, aber auch psychologische Auseinandersetzungen. Und der Liedermacher in mir, der guckt nur auf sich selbst. Beides ist ein unfassbares Geschenk. Beides bin ich. Und ich denke nicht im Traum daran, eines davon aufzugeben.