Wenn Kinder spät sprechen lernen
Logopäden bieten das Heidelberger Elterntraining an, um die kindliche Sprachentwicklung zu unterstützen. Guido Stiel ist einer davon.
50 Wörter sollte ein zweijähriges Kind aktiv beherrschen. Zum frühkindlichen Wortschatz gehören Worte wie „Mama, Papa, Ball“ genauso wie „wauwau“ oder „brumbrum“. Der kleine Oskar sprach weniger als 50 Wörter. „Wir fanden das anfangs gar nicht dramatisch“, sagt seine Mutter, die namentlich nicht genannt werden möchte. „Unsere Kinderärztin machte uns bei der U7-Untersuchung darauf aufmerksam.“ (Anmerk. d. Redaktion: Die Untersuchung steht im Alter zwischen einem und zwei Jahren an). Oskar ist ein sogenannter „late talker“, ein später Sprecher. Bis zu 20 Prozent der ein- bis dreijährigen Kinder sind Spätsprecher, ihre Sprachentwicklung ist deutlich verlangsamt.
Nicht alle „late talker“ holen die Defizite von alleine auf. „Die Ursachen für eine verzögerte sprachliche Entwicklung sind ungeklärt“, sagt Logopäde Guido Stiel. Aber zwei Faktoren kennt er ganz gewiss: „Die Eltern haben keine Schuld und eine frühe sprachtherapeutische Förderung kann schwere Sprachentwicklungsstörungen verhindern.“ Stiel hat sich auf kindliche Sprachentwicklung spezialisiert. Sein Behandlungsangebot reicht von der Prävention von Sprachentwicklungsstörungen bis hin zum Lese- und Schriftspracherwerb. Als gezielte Förderung setzt der zertifizierte Trainer auf das Heidelberger Elterntraining (HET). „Das einzige Programm im deutschsprachigen Raum, dessen Wirksamkeit bewiesen wurde.“
Das Programm richtet sich nicht etwa an Oskar. Das Kind hat den Logopäden nie kennengelernt. Vielmehr nahmen seine Eltern alle zwei Wochen insgesamt sieben Sitzungen bei Stiel wahr. Sie lernten, ihr Verhalten gegenüber Oskar zu optimieren. „Eltern sind die wichtigsten Bezugspersonen und Kommunikationspartner des Kindes“, sagt Stiel. Spielerisch beeinflusst ihr Sprachverhalten Oskars Sprachentwicklung beim gemeinsamen Bilderbuch anschauen oder auch in alltäglichen Situationen. Nicht zu viel und nicht zu wenig sprechen, zuhören, angucken, langsam reden, spielen, singen, Wörter oft wiederholen — das HET-Programm verlangte Oskars Mutter viel Geduld ab. Sie nutzt bewusst die vielen kurzen Gesprächsmomente beim Essen, Anziehen oder Spielen, um feinfühlig auf die sprachlichen Äußerungen ihres Kindes einzugehen. Es hat sich gelohnt. Oskar spricht heute selbst schwierige Worte wie Krokodil oder Kindergarten und bildet bereits Vierwortsätze, wo Zweiwort-Kombinationen in seinem Alter der Norm entsprächen.
„Sprache ist wie ein Baum“, sagt der Logopäde. „Wortschatz, Aussprache, Grammatik sind seine Äste.“ Für Oskar wurden die Weichen früh gestellt. Die Äste seines Sprachbaums können nun wachsen und Blätter entwickeln.