„Krefelder Frühstück“ Wie Corona Krefeld prägt - Ein (sehr) persönlicher Rückblick auf das Jahr 2020
Krefeld · Corona überlagert so vieles. Auch das letzte „Krefelder Frühstück“ unseres Autors Janis Beenen kommt nicht daran vorbei. Wie er das vergangene Jahr als Berichterstatter erlebt hat? Ein Rückblick.
Guten Morgen,
heute treffen wir uns zum letzten „Krefelder Frühstück“ des Jahres. Eigentlich würde ich das gerne zum Anlass nehmen, den Traumschiff-Kapitän zu geben. Gerne würde ich mit einer niedergeschriebenen Lobhudelei auf die Höhepunkte des Jahres 2020 zurückschauen – ein guter Wunsch hier, ein Chapeau dort. Doch irgendwie fühlt sich in diesem Dezember nichts nach Traumschiff-Finale an. Das Jahr war eher wie eine Folge, in der das Schiff crasht, sich alle Paare trennen und das Captain’s Dinner ohne Eisbombe stattfindet.
Denn für uns alle wird 2020 immer das Corona-Jahr bleiben. Klar, viele von Ihnen werden sich auch an schöne Momente erinnern. Und ein bisschen Hoffnung auf Besserung gibt es in dieser Pandemie auch. Doch so richtig traumhaft war das Jahr wohl für kaum jemanden: Sorgen um den Job, Sorgen um die Gesundheit, Sorgen um die Zukunft.
Ich möchte Ihnen heute schildern, wie ich das als Berichterstatter in Krefeld wahrgenommen habe. Natürlich waren die vergangenen Monate in dieser Rolle aufregend. Aufregung, auf die ich gerne verzichtet hätte. Corona überlagert so vieles. Wir haben eine Oberbürgermeister-Wahl hinter uns. Mit Rathaus und Grotenburg sind an ikonischen Stellen der Stadt die Bauarbeiter für Millionenprojekte unterwegs. Das gesamte Erscheinungsbild des örtlichen Eishockey-Klubs ist grottenschlecht, um es mit den Worten des Sauerländer Poeten Friedrich Merz zu sagen. Themen, über die wir diskutieren können, haben und hatten wir auch ohne Pandemie also einige. Und doch: Auch in Krefeld vergeht kein Tag ohne das Überthema Corona. Neue Zahlen, neue Regeln. Was machen die Schulen? Wie geht es der Wirtschaft? Was passiert in den Kliniken?
Recherche um Recherche beschäftigt sich mit den Auswirkungen der Krise in Krefeld. Manchmal nervt das. Und manchmal fand ich es schwierig, das eigene Mitgefühl außen vor zu lassen. Mehrfach habe ich in diesem Jahr Krefelder Gastronomen, Event-Veranstalter oder Reisebüro-Inhaber interviewt. Menschen, die Angst um ihre Existenz haben. Menschen, die plötzlich vorrechnen, wie wenig Geld noch reinkommt. Menschen, die ihre Belegschaft gerne aus der Kurzarbeit holen würden. Menschen, denen ihre Leidenschaft zusammenbricht. Oft macht das beim Zuhören ratlos. Natürlich muss ich noch die Frage nach dem Nutzen der Überbrückungshilfen stellen. Doch eigentlich möchte ich nur „Verdammt, das tut mir leid“ sagen.
Wobei nur Mitleid, das würde vielen Geschäftsleuten in der Stadt nicht gerecht. In etlichen Gesprächen habe ich eine ungemein kämpferische Haltung erlebt. Seit Monaten kann niemand garantieren, was in ein paar Monaten ist. Trotzdem machen viele Unternehmer weiter, immer weiter. Sie überlegen sich, was sie trotz aller Einschränkungen bieten können. Kaum war vom ersten Lockdown die Rede, etablierten Buchhändler in den Stadtteilen Lieferdienste. Eine Bar brachte Cocktails, ein Eiscafé begann, Nudeln zu produzieren. Mich hat es gefreut, diese Dinge für Sie aufzuschreiben. Sie sorgen für die Zuversicht und die Gewissheit: Es steckt weiter Leben in dieser Stadt. Das sind die positiven Dinge.
In einigen setzt die Krise allerdings nicht nur Kreativität frei. Im Gegenteil. Im Laufe der Wochen und Monate ist mir immer öfter Wut entgegengeschlagen. Immer wieder sind Gesprächspartner bei Recherchen am Telefon ins Reden gekommen: Die Politik! Die Medien! Die Virologen! Das mit dem Virus könne doch alles gar nicht so sein und schon gar nicht so dramatisch. Um nachzuvollziehen, dass es solche Positionen auch hier gibt, müssen Sie nur in die Sozialen Netzwerke klicken. Schauen Sie mal, was zuweilen in den Kommentarspalten unter einem Beitrag zur Maskenpflicht in der Innenstadt los ist. Unmut und Unverständnis über das, was passiert, gibt es nicht nur auf Demos in Berlin. Das gibt es auch in Krefeld. Gerade im persönlichen Gespräch bei Recherchen finde ich das erschreckend. Und ich fürchte, dass das Extreme in der Haltung diese Krise überdauern wird. Zu festgefahren sind die Positionen.
In einem Gespräch präsentierte mir eine Musikerin plötzlich ihre Corona-Thesen. Freilich ist sie mit ihrem Beruf in einer Extremsituation. Als sie aber begann, Existenz und gesundheitliche Folgen des Virus abzustreiten, habe ich versucht mit der Faktenlage zu argumentieren. Keine Chance. Alles, was nicht ins eigene Weltbild passt, wird abgelehnt. Es geht mir dabei nicht darum, dass wir nicht über Corona-Maßnahmen debattieren können. Natürlich können Politiker in so einer Situation nicht alles richtig entscheiden. Natürlich würden viele Journalisten, die Corona im März mit Verweis auf die Grippe heruntergeredet haben, das heute nicht mehr schreiben. Natürlich war die Wir-bleiben-zuhause-Folklore im Frühjahr zu viel des Guten. Endlich mal Zeit zum Lesen, endlich mal den Keller aufräumen, hieß es da. Letztlich hieß es für viele Kurzarbeit, Kinder daheim betreuen, Home-Office – totaler Stress. Zumal Home-Office in der Realität nicht zuhause arbeiten, sondern im Büro leben bedeutet.
Doch all das rechtfertigt für mich keine sturen Positionen, die ins Extreme abrutschen. Mir macht diese Entwicklung Sorgen. Denn das ist längst nicht mehr irgendwas Abstraktes, über das bei „Hart aber fair“ diskutiert wird. Das sind Tendenzen, die auch in der Stadtgesellschaft vor Ort für Probleme sorgen können. Ich bin überzeugt: Wir müssen einander wieder zuhören, die Position des anderen nicht abwerten, eigene Haltungen hinterfragen, Gemeinsamkeiten suchen.
Wichtig dafür ist aus meiner Sicht auch das persönliche Gespräch, von Angesicht zu Angesicht. Wie bedeutsam diese Begegnungen sind, hat mir diese kurze normalere Phase zwischen Frühjahr und Herbst gezeigt. Bürgerinitiativen, Gründer, Krefelder beim verkaufsoffenen Sonntag – für ein paar Wochen konnte ich mehr Menschen tatsächlich treffen. Dieser Austausch ist intensiver, mit mehr Zwischentönen und Emotionen – sogar trotz Maske. Kein Telefonat, kein Videocall kann das ersetzen. So ist mein Wunsch für das kommende Arbeitsjahr klar: Ich hoffe, dass Sie und ich uns wieder begegnen. Nicht nur hier in geschriebener Form. Sondern tatsächlich draußen. Dort, wo ganz sicher wieder das Krefelder Leben spielen wird.