Alle Täubchen sind namenlos
Seit beinahe sieben Jahrzehnten züchtet Karl Wahnemühl die Rassetiere. Ein Ortsbesuch im heimischen Taubenschlag.
Erkrath. Wie es damals anfing mit den Tauben? Das weiß Karl Wahnemühl noch ganz genau. „Die erste habe ich im Nachtschränkchen versteckt“, erinnert sich der Vorsitzende des Erkrather Rassegeflügelzüchtervereins an die Nachkriegsjahre, in denen Tauben im Haus offenbar nichts Ungewöhnliches waren.
„Die meisten Jungs hatten welche“, plaudert Wahnemühl über eine Zeit, in der die Kriegswirren schwer auf den Kinderseelen lasteten. Da war es vermutlich auch ein Stückchen Trost, sich um ein Tier kümmern zu können. Aber es gab noch andere Gründe, warum Karl Wahnemühl sich diese kleine Heimlichkeit im Nachtschränkchen unbedingt leisten wollte. „Wenn man dazugehören wollte, hatte man eine Taube“, gewährt der Züchter einen Einblick in die Anfänge einer Leidenschaft, die ihn nach wie vor in ihren Bann zieht.
Das Nachtschränkchen war damals ohnehin nur ein vorübergehendes Domizil. Denn bald schon machte die Großmutter, der das Gurren nicht entgangen war, der Heimlichtuerei ein Ende. Die Tauben zogen in den Garten und nun — beinahe 70 Jahre später — leben sie dort immer noch. Mittlerweile sind es seine Komorner Tümmler, die Karl Wahnemühl jeden Morgen freudig empfangen. Er wiederum lobt seine gefiederten Wegbegleiter in den höchsten Tönen. Ruhig, ausgeglichen und wenig streitlustig: Als Züchter schätzt er diese rassetypischen Eigenschaften.
Noch vor dem Frühstück und vor dem Abendessen macht sich Wahnemühl auf den Weg zum Taubenschlag. Kaum steht er am Tor, versammelt sich die komplette Mannschaft in der Voliere. „Ob sie mich sehen oder hören? Ich weiß es nicht“, spricht der Taubenzüchter über alltägliche Rituale, die er nicht mehr missen möchte. Mal eben füttern und wieder weg? Das kommt Karl Wahnemühl nicht in den Sinn.
Er verbringt gern Zeit bei seinen Tümmlern — und er beobachtet sie genau. Dann sagt er etwas, über das man nur lächeln kann, wenn man es nicht selbst erfahren hat: „Jede Taube ist anders. Ich kann sie alle voneinander unterscheiden.“ Für den Züchter ist das eine Selbstverständlichkeit — denn nur so kann eine erfolgreiche Zucht gelingen. Wirft man hingegen als Außenstehender einen Blick in den Taubenschlag, ist man schnell mittendrin im Gewusel. Fremde sind die Gefiederten nicht gewöhnt. Alles hat seine Ordnung, jedes Pärchen hat seine ganz eigene „Nestbox“.
Will man die Vögel umquartieren, ist das kein einfaches Unterfangen. „Manchmal dauert es Tage, bis sie sich an den neuen Platz gewöhnt haben“, weiß Wahnemühl. Dabei seien es vor allem die gefiederten Damen, die mit gehobenen Ansprüchen an das neue Domizil die Sache nicht gerade leicht machen. Und für alle, die es noch nicht wissen: Tauben leben monogam. Wer zueinander gefunden hat, bleibt zusammen. Was nicht heißt, dass nicht auch schon mal ein Auge auf die schöne Nachbarin geworfen wird.
Eine Frage darf natürlich nicht fehlen, wenn es um die Leidenschaft für Tiere geht: Bekommen sie eigentlich auch Namen, die schönen Tümmler? „Das darf man nicht machen. Es muss bei der Nummer bleiben“, stellt Karl Wahnemühl klar. Denn eines gehört für ihn zur Taubenzucht dazu: Irgendwann werden die Gefiederten geschlachtet und kommen dann in die Pfanne oder in die Suppe.