Erzieherin sagt zu Vorwürfen aus
Der Prozess gegen die Kinder- und Jugendeinrichtung Educon ging weiter.
Hilden. Mit einer ersten Aussage der Ex-Gruppenleiterin hat das Landgericht gestern den Prozess um angeblich massive Misshandlungen in der früheren Hildener Kinder- und Jugendeinrichtung Educon fortgesetzt. Der 43-jährigen Erzieherin und vier ihrer Ex-Mitarbeiter wird angelastet, von 2006 bis 2008 mehrere damals neun bis 15 Jahre alte, teils schwerbehinderte Kinder in einer Vielzahl von Fällen misshandelt, gedemütigt, sie mit Essenentzug bestraft und auch verletzt zu haben. Was in der Anklage nach einem Folterprotokoll klingt, war nach Darstellung der mutmaßlichen Hauptangeklagten aber das Ergebnis aus Überforderung der damaligen Erzieher und einer völlig unreflektierten Umsetzung einer inzwischen umstrittenen Therapieform.
Mehrfach berief sich die Angeklagte gestern auf den Mitbegründer einer Körper-Interaktions-Therapie als eine Art Mentor. Jener Fachmann für Verhaltenstherapie habe die damaligen Vorgänge in zwei Wohngruppen der jetzt aufgelösten Educon-Einrichtung begleitet, habe Videos davon ausgewertet und die Entwicklung beeinflusst. Am Beispiel eines extrem aggressiven Mädchens führte die Angeklagte an, dass man seitens der Einrichtung und Betreuer nichts unversucht gelassen habe, um dem Kind („Es war ja ein ganz besonderes Mädchen und hatte wirklich gute Sachen in sich!“) zu helfen.
So sei die Idee entstanden, mit dem Kind zum Einkaufen zu gehen, was das Mädchen sich angeblich sehr wünschte, was aber stets dazu geführt habe, dass das Kind fremde Menschen attackierte. Diesen Zwiespalt hätten Betreuer auflösen wollen, indem man das Mädchen teils im Polizeigriff durch Geschäfte führte. Als das Kind in der Einrichtung dann aber anfing, andere Kinder wuchtig vom Stuhl zu treten, habe der Experte geraten: „Ihr müsste den Spieß umdrehen!“ Also sei die später so genannte „Teppich-Runde“ entstanden, bei der ein Kind auf einem Stuhl von Betreuern umgetreten wurde, sich samt Stuhl aber gleich wieder in Position bringen musste, bevor die Prozedur von vorne anfing und laut Anklage stundenlang bis zur völligen Erschöpfung der Kinder wiederholt wurde.
Dem aggressiven Mädchen sollte dadurch angeblich klar gemacht werden, „dass sie das auch mit anderen Kindern nicht machen kann“, so die Angeklagte, die gestern von einem „Riesenerfolg“ sprach. Denn das Mädchen sei danach „lange Zeit aggressionsfrei“ gewesen, habe an alltäglichen Abläufen wieder teilnehmen können.
„Das war unser Ziel.“ Der angebliche Mentor habe gar gejubelt: „Das ist eine Revolution in der Behindertenhilfe!“ Doch die Staatsanwaltschaft wertet die seit 2006 (angeblich auch auf Anraten dieses Experten) per Video dokumentierten Vorfälle als systematische Körperverletzungen, Freiheitsberaubungen, Nötigungen und als massive Misshandlungen von Schutzbefohlenen. Nach dem bisherigen Prozessplan soll der gestern vielfach zitierte Therapie-Experte in der nächsten Woche als Zeuge aufgerufen und dann befragt werden.
Der Zeuge hat die Darstellungen der angeklagten Betreuer bisher angeblich aber nicht bestätigt