Fußball EM 2024 EM-Saxofonist kommt aus Haan-Gruiten
Haan · Irgendwas zwischen Sommermärchen und Marketinggenie: So beschreibt man André Schnura, der seit EM-Beginn mit seinem Saxofon viral geht. Die Geschichte hinter dem Phänomen.
Sonnenbrille, Völler-Trikot, Kippe hinterm Ohr und schwarzes Saxofon. Das ist die Dienstuniform von André Schnura. Eigentlich kommt er aus Haan, aber momentan reist er von einer EM-Austragungsstätte zur nächsten, um dort die Fanmeile musikalisch aufzumischen. Das Ganze dokumentiert er akribisch auf Plattformen wie Tiktok oder Instagram. Doch wer ist dieser Typ, der da auf einer Verstärkerbox stehend je nach Bedarf Hits wie „Zeit, dass sich was dreht“ von Herbert Grönemeyer, „Major Tom“ von Peter Schilling oder „Samba de Janeiro“ von Bellini trötet?
Der 30-Jährige hat in den Niederlanden an der ArtEZ Hochschule in Arnheim Jazz und Pop-Saxophon studiert und war bis vor Kurzem Lehrer an einer Musikschule. Doch den Job verlor er, einem seiner Instagramposts nach, wegen einer neuen TVöD-Reglung. Zum Glück hat er gleich mehrere Standbeine, auf die er zurückfallen kann. Er ist nämlich nicht nur Eventsaxofonist, sondern hat auch mit seinem besten Freund Marius Trapp zusammen die Saxofonmarke „Stalaxy“ (Sitz in Haan) ins Leben gerufen.
Die mattschwarzen Saxofone, die die beiden vertreiben, bewirbt Schnura fleißig auf seinem Instagram-Kanal – mittels grandiosem Product-Placement mitten in der Fanmeile. Sein Partner und er hätten beschlossen, ab sofort von jedem verkauften Saxophon 150 Euro an die Toni-Kroos-Stiftung zu spenden, die schwerkranke Kinder unterstützt. Das ist natürlich löblich und auch nach einer Spende sollten von jedem vermarkteten Instrument noch über 1500 Euro für das Unternehmen abfallen.
Laut der Stalaxy-Website ist das erklärte Ziel der zwei Haaner, Saxofon wieder cool zu machen. Doch vielleicht hatte es ja auch einen Grund, dass das Instrument einst aus der Mode kam. Wenn man sich die Videos auf Schnuras Instagram-Kanal anschaut, scheint sein Spiel bei den Fans jedenfalls irgendeinen Urinstinkt anzusprechen. Ob die Begeisterung der Massen wirklich auf die Coolness des Haaners zurückgeht oder eher den Alkoholpegel der Fans, lässt sich leider nicht abschließend klären.
Ist das also Schnuras ganz persönliches und ganz überraschendes Sommermärchen? Märchen vielleicht, ganz überraschend wohl eher nicht. Denn nach Informationen der Stuttgarter Zeitung hatte der DFB-Fanclub Schnura gleich für drei Tage gebucht. Zu einem Interview war der Virtuose nicht bereit: „Leider gebe ich keine Interviews“, antwortet er auf der Plattform Instagram auf Anfrage unserer Redaktion. Die Musik spreche für sich, damit sei alles gesagt. Da Schnura vor allem auf das Nachspielen von Songs spezialisiert zu sein scheint, geht diese Logik vielleicht nicht ganz auf. Aber den Fans in München, Stuttgart und Frankfurt scheint es zu gefallen. Das ist die Hauptsache.
Die EM hat sich für Schnura auf jeden Fall gelohnt – selbst, wenn Deutschland nicht Europameister werden sollte. Denn seine Instagram-Gefolgschaft hat er in kürzester Zeit mehr als verdoppelt: Von 55 000 am Sonntag, 23. Juni, auf 137 000 (Stand 25. Juni) und auch auf Tiktok sind es über 445 000 (Stand 24. Juni) Fans. Und das ist nicht nur exzellente Werbung für die eigene Firma. Denn auf Instagram zählt man ab 100 000 Followern offiziell als Influencer und kann von Werbekunden 5000 Euro pro Post verlangen – teilweise sogar noch mehr. Sollte Schnura seine Beliebtheit über die EM hinaus erhalten können, wäre er auch ohne Musikschuljob vorläufig finanziell abgesichert.
Falls Deutschland es ins Finale schaffen sollte, muss Schnura auf dem Saxofon zur Halbzeit die Nationalhymne im Stadion spielen, fordern einige seiner Fans auf Instagram. Doch auch wenn der 30-Jährige sich weiter in die Herzen der Fans spielt, wird er an das eigentliche musikalische Gesicht dieser Fußball-EM leider nicht herankommen: den Partyschlagersänger Balkonultra. „Pyrotechnik“ ist der Song, der nicht nur am Ballermann und auf Festivals, sondern in diesen Tagen auch mit großer Leidenschaft und mittelstarker Textsicherheit in der Stadionkurve gesungen wird.