Gefangen im Rathaus-Keller
Die Arrestzellen im Keller des Haaner Rathauses sind fast vergessen.
Haan. Nur etwa anderthalb mal drei Meter groß ist der Raum. Und wirkt noch wesentlich kleiner. Ein beklemmendes Gefühl stellt sich ein, verstärkt noch durch die massive Tür, an der die Klinke fehlt. Von der Kaiserstraße her ist das Rumpeln der vorbeifahrenden Straßenbahn zu hören. Durch das vergitterte kleine Fenster dringt Licht hinein, beleuchtet die einfache Pritsche und den unbequemen Holzstuhl. Mit einem Mal öffnet sich die kleine Klappe in der Tür und ein Polizist reicht schweigend einen Teller Suppe und ein Stück Brot hinein. Ein Aufenthalt im Arrest ist wahrlich kein Zuckerschlecken.
So ähnlich dürfte es um die Jahrhundertwende herum den Insassen ergangen sein, die das zweifelhafte Vergnügen hatten, einen oder mehrere Tage in einer der drei Arrestzellen zu verbringen, die sich noch immer im Souterrain des Rathauses befinden. Im August 1903 wurde das Gebäude eröffnet, und da die Polizei seinerzeit noch dem Bürgermeister unterstellt war, befand sich die Wache im Rathaus. Was heute nur noch ein Keller ist, war damals auch Wohnraum: In vier Zimmern lebte der sogenannte Bureaudiener — zumindest er hatte Fenster ohne Gitter. Ganz im Gegensatz zu den Insassen im Arrest: Wer sich des „groben Unfugs“ oder des Diebstahls strafbar machte oder wegen seiner Trunkenheit auffiel, landete in einer der Zellen. „Wenn ich heute bei Führungen die Türen der Zellen aufsperre“, sagt Stadtarchivarin Birgit Markley und zeigt den riesigen Eisenschlüssel, „dann sind die Leute meistens enttäuscht.“ Dienten die Räume vor 100 Jahren der Durchsetzung von Recht und Ordnung auf den Haaner Straßen, sind sie heute nämlich bloß noch die letzte Ruhestätte von Aktenordnern. In einer der Zellen, die sorgsam durch Vorhängeschlösser gesichert ist, bewahrt die EDV-Abteilung Tastaturen, PC-Mäuse und Kabel auf.
Die Archivarin selbst lernte die Arrestzellen erst bei ihrem Dienstantritt im Mai 1999 kennen, als sie der damalige Kulturamtsleiter Fritz Köhler mit auf einen Rundgang nahm. Für die Ausstellung zum 100-jährigen Bestehen des Rathauses sammelte sie dann jeden Fetzen an Informationen zusammen. Auch einen Grundriss fand Birgit Markley bei ihrer Recherche. Da jedoch die Polizei nach ihrem Auszug fast keine Unterlagen archivierte, musste sich die Historikerin vieles zusammenreimen. „Die Zellen wurden vermutlich noch bis 1958 regelmäßig genutzt, aber immer nur für kurze Zeiträume“, berichtet sie. Die eine oder andere Anekdote kann die Archivarin dennoch erzählen. So etwa von der Sicherheit, die 1913 deutlich verbessert wurde: „Bürgermeister Richard Gläßner ordnete an, dass die Stadtwerke eine Gaslaterne an der hinteren Rathaustür anbringen sollten.“
In der Begründung hieß es, die Gefangenen, die nachts in den Arrest überführt wurden, hätten es sonst zu leicht zu flüchten, und die Polizisten würden unnötig gefährdet. Ihren Schrecken von damals haben die Arrestzellen längst eingebüßt. Wer im Innenhof des Rathauses genau hinschaut, kann die vergitterten Fenster in Bodennähe entdecken. Wer Krakeelen und Wehklagen hört, muss den Kopf heute jedoch eher nach oben recken — in Richtung Ratssaal im Obergeschoss.