Haaner Schädel ist viel jünger als geglaubt
Neue Untersuchungen eines 1972 bei Ausgrabungen am Alten Kirchplatz gefundenen Schädelknochens stellen die Haaner Geschichte auf den Kopf.
Haan. Nicht vor mehr als 1000 Jahren, sondern zwischen 1660 und 1807 dürften die Frauen nahe der alten Haaner Kirche beigesetzt worden sein, deren Fundamente 1972 vor dem Bau des Hallenbades gefunden wurden. Die Position dieses Bodendenkmals ist heute noch im Pflaster des Alten Kirchplatzes durch farblich abgehobene Platten nachvollziehbar. Dass der 1989 gestorbene Harro Vollmar, engagierter Heimatforscher, Vorsitzender des Bergischen Geschichtsvereins Haan und ehrenamtlicher Denkmalpfleger bei der Datierung der Schädelknochen einem Betrüger aufgesessen war, brachten jetzt neue Untersuchungen ans Licht.
In den Jahren 2014/15 bat das Ruhrmuseum Essen in Vorbereitung einer Ausstellung zur Frühzeit an der Ruhr und in den angrenzenden Gebieten die Haaner Archivarin Birgit Markley, den Haaner Schädel ausstellen zu dürfen. Zu diesem Zweck wurden die Knochen, die mit einem Reifen aus Buntmetall versehen sind, erneut untersucht. Der Anthropologe Christian Meyer und der Archäologe Dr. Patrick Jung wandten neueste wissenschaftliche Methoden wie eine C14-Untersuchung der Knochen an und veranlassten eine Mikro-Röntgen-Fluoreszens-Analyse des Reifens.
Sie kamen zu folgenden Ergebnissen: Die Datierung vor das Jahr 1000 ist nicht haltbar, und damit ist auch Vollmars Interpretation hinfällig, es habe sich um Gerresheimer Stiftsdamen gehandelt, die vor den Ungarn nach Haan geflohen seien. Vielmehr gilt heute als gesichert, dass es sich um neuzeitliche Funde aus der Zeit zwischen 1660 und der Schließung des Friedhofs 1807 handelt.
Bei dem Reif handelt es sich um ein sogenanntes Ohreisen, das heißt, um einen Unterbau aus Messing, der eine Haube in Form halten und schmücken sollte. Solche Gestelle waren beliebt als Teil der Frauentracht in den Niederlanden, wo Frauen auch häufig damit gemalt worden sind. Als Beispiel sei Rembrandt van Rijns um 1640 entstandenes Werk „Frau mit weißer Haube“ genannt. Schriftliche Quellen belegen, dass diese Ohreisen auch in den angrenzenden Rheinlanden getragen wurden. Allerdings ist in den rechtsrheinischen Gebieten bisher noch an keiner anderen Stelle ein Schädel mit einem Ohreisen ausgegraben worden. Haan besitzt also mit seinem Schädel in diesem Sinne einen bisher singulären Fund. Die beiden Wissenschaftler sind einig, dass es sich durchaus lohnen würde, weiter die archäologisch-historischen Zusammenhänge zu erforschen.
Auf dem Alten Kirchplatz stand eine romanische, zunächst katholische, später evangelische Kirche aus dem 10. Jahrhundert, auf deren Kirchhof, wie damals üblich, auch beerdigt wurde. Diese Kirche erwies sich im Laufe der Zeit als zu klein für die wachsende Gemeinde und wurde im Jahre 1863 abgerissen. Einige wenige Überbleibsel dieses Baus wie eine Inschrift, die Turmstange und die Stundenglocke wurden in den Neubau der evangelischen Kirche an der Kaiserstraße integriert.
1970 fasste die Stadt Haan den Beschluss, ein Hallenbad auf dem Alten Kirchplatz zu bauen. Dies brachte Harro Vollmar auf den Plan. Von Beruf Ingenieur begleitete er mit unglaublich großem persönlichem Engagement die Ausschachtungsarbeiten, die Anfang 1972 begannen, finanzierte eine archäologische Probegrabung im Vorfeld und stand, unterstützt von anderen Mitgliedern des BGV, in jeder freien Minute neben dem Bagger, um interessante Relikte zu bergen. Es wurden 18 Schädelteile verschiedener Verstorbener sichergestellt. Es gab mehrere Untersuchungen in den 70er und 80er Jahren. Sie nahm unter anderem das damals als wissenschaftlich führend geltende Institut der Biologen für Anthropologie und Humangenetik der Universität Frankfurt unter Leitung von Prof. Protsch von Zieten vor.
Es ergab sich eine Datierung der weiblichen Schädelfragmente in die Zeit der Ungarneinfälle im 10. Jahrhundert. Dies wurde dann auch so kommuniziert, unter anderem in Vollmars Buch über die „Geschichte von Haan und Gruiten“. Inzwischen ist klar: Der Professor hatte solche Funde nie untersucht, sondern reihenweise Gutachten mit frei erfundenen Datierungen geschrieben.
Als das aufflog, wurde er zu einer Haftstrafe auf Bewährung verurteilt, von der Universität fristlos entlassen, sein Institut wurde geschlossen. Im Zusammenhang mit den chaotischen Zuständen dort verschwanden auch die meisten Haaner Fundstücke. Von ihnen existieren nur noch Fotos. Lediglich der Schädel, der heute im Haus Stöcken ausgestellt ist, war in der Zwischenzeit aufgrund der Initiative des Ehepaars Christa und Kurt Martin gerettet und nach Haan zurückgebracht worden.