Kalligraphie: Mit Tusche, Feder und Ruhe
Mathilde Jörgens hat sich den Buchstaben verschrieben. Nur schön müssen sie sein, das ist die Kunst — ihre Kunst.
Haan. „Wenn ich die Feder in der Hand habe, schrecke ich vor nichts zurück.“ Das ist nicht allein ein Ausstellungsstück ihrer kalligraphischer Arbeiten in der Stadtbücherei. „Das bin ich“, sagt Mathilde Jörgens.
Gemalt und gezeichnet hat die 66-Jährige schon immer. „Künstlerisch bin ich familiär vorbelastet“, sagt das jüngste von sieben Kindern. Vor allem einer der älteren Brüder hatte die gebürtige Westfalin mit seinen „tollen Bildern“ zum Nachmachen inspiriert. Neben ihrem kaufmännischen Beruf kam die junge Mathilde Jörgens dann wenig dazu, den „innigsten Wunsch, Kunst zu machen“, auszuleben. Das ging erst an der Seite eines gewissen Claus, mit dem sie seit 45 Jahren befreundet und seit 43 Jahren verheiratet ist.
Nach dem autodidaktischen Start und einer langen Phase Porzellan- und Ikonenmalerei sowie Techniken des Vergoldens, kam die Initialzündung in Richtung Kalligraphie im Jahr 1988. „In Aachen sah ich eine Ausstellung von Werner Eikel“, einst Meisterschüler und später Professor. Mit dem berühmten Mann nahm sie Kontakt auf, „und habe an mir und meinem Talent gearbeitet“.
Sommerakademien folgten, Seminare in Belgien und vor allem unerschöpfliche Geduld. „Es ist immer viel Vorarbeit von der Idee bis zur Fertigstellung nötig.“ Längst gibt sie selbst Kurse zur gesunden Statik der Buchstabenbindung, die zu geschlossenen Wortbildern und malerischer Schönschreibkunst führen. Wenngleich „schon lange nicht mehr so brav geschrieben wird“. Sie selbst schreibt nie auf einer Linie, sondern „lebendig und expressiv und wie es gerade passt“.
Ihre eigene Visitenkarte hat sie in englischer Schreibschrift gestaltet, entwirft sie ein Leporello zum Thema „Sommer“, bindet sie es selbst ein, Auftragsarbeiten werden „schon mal“ angenommen. Am liebsten sitzt sie ab nachmittags, „erst muss alles erledigt sein und ich muss den Kopf frei haben“, in ihrem Atelier bei ihren Utensilien. Das sind Pinsel und Federn oder auch mal breitere Werkzeuge und viel, viel Tusche.
„Texte, die mir etwas geben, setze ich um.“ Das können Sentenzen und Weisheiten von Franz Grillparzer, Schopenhauer oder Viktor Hugo sein — „je nach Stimmung und Befindlichkeit“. Aber auch eine Rose aus Papier wird von ihr kalligraphisch umgearbeitet.
Die Ergebnisse zeigt Mathilde Jörgens seit 1986 in Ausstellungen, seit 28 unterrichtet sie ihr Lieblingsthema an der VHS. Nur einem konnte sie die stille Art des Federführens nicht beibringen — ihrem Claus. „Ich kann alles, nur nicht schreiben“, behauptet er. „Der Niederrheiner weiß nix, kann aber alles erklären“, zitiert Mathilde Jörgens Hanns Dieter Hüsch. „Das passt auf meinen Mann.“ Anstatt ihrem Liebsten Finessen der Buchstaben-Inszenierung beizubringen, kümmert sie sich um das nächste Projekt. Bis Ende März möchte sie ihren Beitrag für „100 Stühle“ fertig gestellt haben. „Es wird etwas Märchenhaftes aus Schrift und Acrylfarben.“