Prozess um Säure-Attentat „Ich werde hier gar nichts sagen“
Haan/Wuppertal · Vor dem Landgericht Wuppertal hat der Prozess gegen den zweiten mutmaßlichen Attentäter von Haan begonnen. Der Mann soll an dem Säureanschlag auf den ehemaligen Innogy-Manager Bernhard Günther beteiligt gewesen sein.
Der Angeklagte wird in den Saal geführt, man erkennt es am Blitzen der Kameras. Er wäre aber auch kaum zu übersehen, Marco L. ist ein großer und kräftiger Mann. Im schwarzen Shirt und brauner Hose nimmt er hinter seinen Verteidigern Platz. Der Vorsitzende Richter Dr. Klaus Blume fragt die Personalien ab, dann belehrt er den Angeklagten: „Sie können hier etwas sagen, aber Sie müssen nicht.“ Marco L. zeigt auf seine Verteidiger, dann stellt er klar: „Ich werde hier gar nichts sagen, da sind meine Anwälte“. Vor ihm sitzen Wolf Bonn und Urban Slamal, beide sagen nichts.
Damit dürfte sich die Hoffnung von Bernhard Günther wohl auch diesmal nicht erfüllen, dass der Prozess endlich aufdeckt, wer die Hintermänner jenes Säureanschlags sind, bei dem er im Frühjahr 2018 schwer verlertzt worden war. Der damalige Innogy-Manager war im Haaner Musikantenviertel mit Schwefelsäure attackiert worden. Vier Jahre später, im Sommer 2022, hatte es eine erste Verurteilung zu zwölf Jahren Haft gegeben, der damals angeklagte Nuri T. hatte die Tat bestritten. Im Prozess gegen Marco L. wird er nun als Zeuge gehört, allenfalls seine Aussage könnte noch Licht ins Dunkel bringen.
„Die Hoffnung ist die, dass jemand sein Sonderwissen preisgibt“, sagt Nebenklageanwalt Dr. Martin Meinberg vor Prozessbeginn. Günthers damaliger Arbeitgeber, die RWE-Tochter „Innogy“, hatte kurz nach der Tat 80.000 Euro und später nochmals 100.000 Euro ausgelobt für Hinweise zur Ergreifung der Täter. Günther selbst beauftragte Privatdetektive und ließ über seine Anwälte eine Hotline schalten. Die Hoffnung: dass jemand etwas ausplaudert über die Täter und Mittelsmänner. „Wir haben jeden Stein umgedreht“, berichtet Meinberg. Aus der Recherche könne man ableiten, dass die Auftraggeber im beruflichen Umfeld zu suchen seien. Die Staatsanwaltschaft hat bereits Ermittlungen eingeleitet, neue Erkenntnisse gibt es bislang nicht.
Über den Tatablauf weiß man so viel: Es ist ein kühler Morgen im März 2018. Bernhard Günther (56) geht mit Freunden joggen. Auf dem Heimweg holt er Brötchen für das Sonntagsfrühstück, als kurz darauf in einer Parkanlage im Musikantenviertel zwei Männer neben ihm stehen. Einer drückt ihn von hinten zu Boden. Der andere springt vor ihm aus dem Gebüsch und hält ein Schraubgefäß in den Händen. Er schraubt das Glas auf und kippt es dem damaligen Innogy-Finanzvorstand ins Gesicht. Dann lassen die Täter von ihrem geschockten Opfer ab. Bernhard Günther schleppt sich nach Hause, seine Stirn brennt wie Feuer. Dort angekommen, stellt er sich unter die Dusche. In Joggingklamotten, die Zeit zum Ausziehen hat der von höllischen Schmerzen geplagte Top-Manager nicht mehr. Längst hat die Säure auch seine Wangen und seine Augenlider verätzt. Nur seine Kontaktlinsen schützen ihn wohl vor einer Erblindung. Ein Rettungshubschrauber bringt den Schwerverletzten in eine Spezialklinik, dort kommt er auf die Intensivstation.
Vier Wochen später wird Günther entlassen. Bald geht er wieder ins Büro. Lange trägt er ein Stirnband, mehrfach wird er operiert. Mittlerweile sitzt er im Vorstand des finnischen Energieversorgers Fortum.
Die Welt, so sagte er es schon während des Prozesses gegen Nuri T., sei für ihn seit der Tat eine andere geworden. Von Bernhard Günthers Anwalt ist zu hören, dass sein Mandant als Zeuge aussagen, aber den Prozess an den anderen Verhandlungstagen nicht verfolgen wolle. Er habe einen langen Leidensweg hinter sich. Der Prozess wird am 3. Januar 2024 fortgesetzt.