Säureanschlag auf Innogy-Manager: „Wer tut so etwas und vor allem warum?“
Seit der Säure-Attacke auf einen Manager in Haan sind viele Hinweise eingegangen. Polizisten durchkämmten den Bereich um den Tatort. Eine heiße Spur gibt es bisher nicht.
Haan. Es ist still im Musikantenviertel in Haan. Wo die Straßen nach großen Komponisten benannt sind, kommt vom Lärm der etwas entfernt liegenden Hauptstraße wenig an. Groß sind die Häuser hier, teuer die Autos in den Einfahrten. Die Hecken sind akkurat gestutzt, Buchsbäume in Form gebracht. Das Gebiet unweit der Stadtgrenze zu Solingen ist eine gute Gegend. Doch Plakate an Bäumen und Laternen zeichnen ein anderes Bild. „Fahndung nach Säure-Angriff“ steht in leuchtend roten Buchstaben auf weißem Grund.
Mehr als eine Woche ist vergangenen, seit zwei Unbekannte den Finanzvorstand der RWE-Tochter Innogy, Bernhard Günther, angegriffen haben. Der 51-Jährige war auf dem Weg vom Bäcker zu seinem Haus, als ihn die Täter zu Boden brachten und sein Gesicht mit Säure übergossen. Schwer verletzt lief er nach Hause, alarmierte die Rettungskräfte und wurde mit einem Hubschrauber in eine Klinik gebracht. Bereits am Tatabend schwebte Günther nicht mehr in Lebensgefahr. Darüber, wie es dem Manager aktuell geht, gibt die zuständige Staatsanwaltschaft Wuppertal mit Verweis auf die Persönlichkeitsrechte keine Auskunft.
Den leicht abschüssigen Fußweg, auf dem sich die Tat ereignete, flankieren Hecken und Bäume. An einem der Stämme hängt eines der Fahndungsplakate, die die Polizei Ende vergangener Woche in der Gegend angebracht haben.
Aufmerksam studiert eine Anwohnerin den Zettel. Geschockt sei sie. Sie stellt sich die Fragen, die wohl die meisten Bewohner Haans seit vergangener Woche umtreiben: „Wer tut so etwas und vor allem: warum?“ Während des Gesprächs fährt ein Streifenwagen in Schrittgeschwindigkeit vorbei. Lächelnd nickt die ältere Dame den Beamten zu. Derweil laufen die Untersuchungen der Mordkommission „Säure“ der Polizei Düsseldorf weiter. Man ermittele weiterhin in alle Richtungen, erklärt Dorothea Tumeltshammer von der Wuppertaler Staatsanwaltschaft: „Alle Richtungen heißt alle Richtungen.“
Am vergangenen Wochenende durchkämmten 30 Beamte einer Einsatzhundertschaft den Bereich um den Tatort. Dabei wurden mögliche Spurenträger gesichert. Nun wird geprüft, ob die Fundstücke für die Aufklärung des Säure-Attentates relevant sind. Dieser Vorgang könne der Staatsanwältin zufolge bis zu einem halben Jahr in Anspruch nehmen.
Zudem befragten die Ermittler eine Woche nach dem Angriff Passanten in der Nähe des Tatorts. Rund zwei Dutzend Hinweise sind bisher insgesamt bei der MK „Säure“ eingegangen. „Wir gehen auch den kleinsten Hinweisen nach“, sagt Tumeltshammer.
In diesem Zusammenhang hält die Kriminalpsychologin Ursula Gasch die Plakataktion für eine gute Idee. „Ein Säureanschlag ist nicht alltäglich. Die Menschen in der näheren Umgebung sind zunächst schockiert: Das gibt es ja wirklich“, sagt die Tübingerin. Dieser Schock könne mögliche Zeugen an ihren Beobachtungen zweifeln lassen oder gar zu einem Verdrängen führen. Hinzu komme, dass man sich durch eine Aussage zu einem „passiven Akteur“ mache. Das Gefühl, plötzlich etwas mit dem Fall zu tun zu haben, könne — je nach Persönlichkeit des Zeugens — zu abwartendem Verhalten führen. Die Plakate könnten weggeschobene Erinnerungen wieder hervorrufen. Zudem setzen sie die Hemmschwelle herab, sich bei der Polizei zu melden. „Man hinterfragt sich selbst: Habe ich vielleicht doch etwas gesehen?“, erklärt Gasch.
In den kommenden Tagen werden auch im Umfeld des Opfers weitere Befragungen und Vernehmungen durchgeführt, kündigte Tumeltshammer an. Auch Bernhard Günther selbst soll eingehend vernommen werden, sobald es sein Gesundheitszustand zulässt. Bis die Tat aufgeklärt ist, bleiben im Musikantenviertel viele Fragen offen. Zurückziehen möchte sich Anwohner Siegfried Turk deshalb nicht: „Man kann sich nicht verstecken, sonst ist alles nichts.“