Wohnungslosenhilfe der Caritas „Manchmal melden sich 100 Leute in einer Stunde“

Haan/Mettmann · Lebenskrisen haben oft Wohnungslosigkeit zur Folge. Immobilienmaklerin Heike Drechshage hilft Menschen im Caritas-Projekt „Endlich ein Zuhause“ dabei, eine Wohnung zu finden. Auch in Haan.

Heike Drechshage von der Caritas-Wohnungslosenhilfe, hier bei einem Beratungsgespräch.

Foto: Caritas Mettmann

An den Tag, als die Dinge damit begannen sich gegen sie zu stellen, erinnert sich Annegret Beckers (Name von der Red. geändert) noch genau. Es war der 14. September 1985, ihr Geburtstag. „Mein Mann kam nach Hause und hat mir erzählt, dass er HIV-positiv ist“, erinnert sich die Mutter einer erwachsenen Tochter an den Moment, an dem sie anfing, aus ihrem Leben auszusteigen. „Ich hatte einen guten Job und habe genug verdient“, sagt sie. Immer wieder klingt jedoch etwas durch, dass Jahre später das Fass zum Überlaufen bringen sollte: Der Ehemann zog es vor, die finanzielle Verantwortung auf seine Frau abzuwälzen. Die Ehe gerät in Schieflage, sie lässt sich scheiden. Von da an, so sagt es Annegret Beckers im Rückblick, ging es nur noch bergab.

Das Trennungen in die Wohnungslosigkeit führen können, weiß auch Heike Drechshage. Sie kümmert sich seit zwei Jahren im Caritas-Projekt „Endlich ein Zuhause“ vor allem um eines: Dass wohnungslose Menschen eine Chance bekommen auf einem nahezu „leergefegten“ sozialen Wohnungsmarkt. Als Immobilienmaklerin weiß sie, was für Vermieter wichtig ist. Dass Menschen in Krisen geraten können, weiß sie auch. Für Annegret Beckers war es nach der Scheidung so weitergegangen: Inmitten der Verzweiflung rät ihr ein Freund, den Job an den Nagel zu hängen, um weniger zu verdienen und ihrem Exmann nicht mehr so viel Unterhalt zahlen zu müssen. „Das habe ich dann dummerweise auch gemacht“, erinnert sich die 58-Jährige. Derweil zog sich die gefühlte Schlinge um den Hals immer weiter zu. Auf dem Küchentisch stapeln sich die ungeöffneten Rechnungen. Da sie mittlerweile in ständig wechselnden Jobs weniger verdiente, häuften sich die zuvor gemachten Schulden zu einem unüberwindbar scheinenden Berg an. Der Gerichtsvollzieher klingelt, das Sozialamt drängelt. Und plötzlich war einfach Schluss. Es ging nichts mehr. „Ich habe meine Sachen gepackt und bin in den Garten gezogen“, spricht Annegret Beckers über den Moment, in dem sie aus dem normalen Alltag aussteigt. Hätte sie damals gleich Hilfe bei der Wohnungslosenhilfe gesucht, hätte man ihr wohl von diesem Schritt abgeraten. „Keinesfalls die Wohnung kündigen!“, appelliert Heike Drechshage an diejenigen, die in finanzielle Schwierigkeiten geraten sind oder inmitten einer prekären Lage ausziehen wollen, weil es Ärger mit den Nachbarn gibt. Wer einmal in der Obdachlosigkeit landet, findet nur noch schwer wieder heraus.

So wie Annegret Beckers, die damals entschieden hatte: Ich steige aus! Im Gartenhaus angekommen, setzt sie sich erstmal draußen auf einen Stuhl. Die Tage gleiten dahin, sie erntet Gemüse und beobachtet die Fische im Gartenteich. Als es auf den Herbst zugeht, hackt sie Holz für kalte Winterabende. Es ist ein Leben fernab von allem, was einen daran erinnert, dass es irgendwo noch Pflichten gibt. Bald ist auch der Personalausweis weg. Verschwunden zusammen mit all dem lästigen Papierkram. „Mit Aushilfsjobs habe ich mich über Wasser gehalten“, erinnert sie sich an drei Jahre im Gartenhaus. Aussteigen um sich selbst zu finden: Das schien die Lösung aller Probleme zu sein. Dazu gehörte allerdings auch, dass es keine Krankenversicherung gab. Und das jeder noch so kleine Schritt rückwärts sie sofort wieder in Gang setzte: Die Spirale von Unterhaltszahlungen, Schulden und einem schier erdrückenden Gefühl von Verantwortung. Irgendwann war klar: So geht es nicht weiter! Sie will ihr Leben neu ordnen und geht zur Wohnungslosenhilfe.

Keine Wohnung, keinen Job und dann auch noch Schulden: Wer einmal dort angelangt ist, braucht mehr als nur Glück bei der Wohnungssuche. Dann gilt es, nicht nur eine Struktur ins Leben zu bringen, sondern auch in die finanziellen Belange und in den Papierkram. Kommen Drogenabhängigkeit oder psychische Erkrankungen hinzu, helfen Fachberater der Wohnungslosenhilfe weiter.

„Man muss schnell sein bei Bewerbungen auf Wohnungsangebote und alle Unterlagen sofort parat haben“, sagt Heike Drechshage. Wer in das Projekt „Endlich ein Zuhause“ aufgenommen werden will, muss zuverlässig sein. Termine müssen eingehalten werden, die Menschen müssen erreichbar sein. Wer das schafft, hat gute Chancen, dass es irgendwann klappt mit einer Wohnung. Geduld brauche man dennoch, weiß Heike Drechshage. Bei Wohnungsanzeigen laufe es längst so: „Binnen 24 Stunden melden sich hundert Leute“. Oft komme noch nicht mal eine Absage. Dann gelte es, nicht zu verzweifeln und weiter dranzubleiben. Manche Klienten brauchen vor allem Rückenwind, andere Unterstützung inmitten der Bürokratie. „Die Schufa ist eine große Hürde“, weiß die Immobilienmaklerin. Treuhandkonten seien eine Möglichkeit, um Vermietern zu finanzieller Sicherheit zu verhelfen. Die Vermittlungsquote von Heike Drechshage kann sich sehen lassen: Eine Wohnung pro Monat. Das es Schattenseiten gibt, verschweigt sie nicht. Etwa die Hälfte der Klienten steigt aus dem Projekt aus, die Gründe seien unterschiedlich. Manche geben auf und kommen bei Bekannten unter. Andere sind nicht mehr erreichbar. Und dennoch: Für viele ist die Wohnungslosenhilfe das Sprungbrett zurück in ein „normales“ Leben. So wie für Annegret Beckers, nach drei Jahren im Gartenhaus ist sie in eine Zweizimmerwohnung gezogen.