Ist die Pubertät ein Thema, bei dem viele Eltern nicht mehr weiterwissen?
Monheim/Langenfeld „Den Eltern wird die Welt der Kinder fremd“
Interview Peter Goldstein und Leonie Ulke leiten den Kurs „Navigieren in stürmischen Zeiten“, der Montag in der Erziehungsberatungsstelle beginnt. Er soll helfen, Konflikte in der Familie auszutragen.
Peter Goldstein: Häufig melden sich Eltern, deren Kommunikation mit den Kindern schwierig oder gar abgebrochen ist. Wenn sie Gespräche führen wollen, fällt die Zimmertür zu. Wenn sie zwar darauf pochen, dass ihnen das jeweilige Thema wichtig ist, die Jugendlichen aber sagen: ist mir egal. Wenn Jugendliche sich immer wieder bei Anliegen der Eltern verweigern. Gerade in der Pubertät treten diese Konflikte auf.
Wem fällt es schwerer, damit umzugehen, autoritären oder Kumpel-Eltern?
Goldstein: Eigentlich beiden. Wenn die Eltern autoritär sind, läuft es auf einen Kampf hinaus. Dann empfinden die Kinder alles als gegen sich gerichtet: Wenn sie sich dann verweigern, eskaliert der Konflikt. Bei Kumpel-Eltern fehlt den Kindern oft die Orientierung. Ohne Ansagen geht es aber nicht. Kumpel-Eltern wollen Jugendliche auch nicht, denn Kumpel suchen sie sich unter Gleichaltrigen. Das ist das Schlimmste, was man Ihnen antun kann.
Trägt der Umstand, dass viele spät Eltern werden, dazu bei, dass in der Pubertät Konflikte aufbrechen, weil die Eltern eventuell nervlich weniger belastbar sind?
Goldstein: Es ist eher so, dass die Entwicklung auf vielen Feldern sehr schnell ist und die Eltern nicht mehr mitkommen. Die Welt ihrer Kinder wird ihnen fremd. Dann fällt es ihnen schwerer, dafür Verständnis aufzubringen.
Wie hält man Verbindung, wenn Kinder sich abgrenzen wollen?
Goldstein: Indem man als Eltern deutlich macht, was einem wichtig ist. Indem man als Eltern so Präsenz zeigt ohne in den Kampf zu gehen. Sie müssen bei ihren Werten und Überzeugungen klar bleiben, aber trotzdem deutlich machen „Du gehörst zu uns!“ Denn Eltern spielen oft Pingpong: Sie lavieren zwischen den eigenen Interessen und denen des Jugendlichen. So erwirbt man keine Autorität. Sie sollten unterscheiden, wo es um Regeln geht oder Bereiche, wo die Jugendlichen mitbestimmen können. Wenn es um Regeln geht, sollte man sich nicht auf Diskussionen einlassen.
Wie stellt man trotz dieser eher konfrontativen Haltung eine Verbindung her?
Goldstein: Die Jugendlichen kämpfen um ihre Eigenständigkeit, sie wollen aber auch dazugehören, das ist, wo man ansetzen kann. Die Eltern sollten ihren Kindern deutlich machen, dass sie um sie und nicht gegen sie kämpfen, und auch darum dass sie zu der Gemeinschaft (Familie, Schule, etc) dazugehören. Bei Regeln geht es ja um das, was die Gemeinschaft ausmacht. Wenn man Regeln befolgt, erklärt man sich auch zu einem Teil des Ganzen. Wenn der Jugendliche aufgetragen bekommt, den Müll rauszubringen, trägt er zur Lösung eines Problems bei. Deshalb ist es auch wichtig, Unterstützersysteme aufzubauen, um dem Jugendlichen deutlich zu machen, dass die Eltern auch die Vertreter für gemeinschaftlich relevante Dinge sind. Ein Beispiel ist die Pflicht zum Schulbesuch. Wenn auch andere Menschen, wie Verwandte oder Lehrer, solche Pflichten einfordern, entlastet es die Eltern. Afrikanisches Sprichwort: „Es braucht ein ganzes Dorf um ein Kind zu erziehen.“
Da gerade in diesem Alter auch Themen wie Alkohol und Ausgehen aufkommen, wie zieht man Grenzen, ohne immer neue Kämpfe?
Goldstein: Wichtig ist, dass sich die Eltern einig sind, wo sie die Grenze ziehen. Dann ist wichtig, dass die Eltern dranbleiben und ihre Werte nicht aufgeben. Sie kritisieren das Verhalten, aber nicht den Menschen. Sollte es dennoch etwa zu einem Fehltritt kommen, sollte man deutlich machen, dass man das Gespräch eher aus der Besorgtheit heraus sucht und positiv bewerten, dass der Jugendliche zumindest über diese Negativerfahrung redet. Man sollte den Gesprächsfaden wie ein Gummiband gut gespannt aber nicht reißen lassen. Im Grenzfall kommt es auf das Handeln an – wenn die Kommunikation abreißt.
An wen richtet sich Ihr Kurs „Navigieren in stürmischen Zeiten“?
Goldstein: An Eltern, die mit der Erziehung ihrer Kinder Schwierigkeiten haben und sich eingestehen müssen: „Wir wissen nicht weiter“. Für viele ist das Thema natürlich auch sehr schambesetzt, die Eltern glauben, alles falsch gemacht zu haben. Deshalb ist es wichtig, in dem Kurs Eltern zu treffen, die die gleichen Erfahrungen machen.
Welchen Ansatz hat er?
Leonie Ulke: Basierend auf Gandhis Gedanken der Gewaltfreiheit haben Haim Omer und Arist von Schlippe ein Modell entwickelt, mit dessen Hilfe Eltern Eskalationen mit ihren Kindern vermeiden können, ohne auf eine konfrontative Positionierung zu verzichten. Die Eltern können damit dem destruktiven Verhalten ihrer Kinder entschlossen gegenübertreten. Grundbotschaft ist: Ich werde Dein Verhalten nicht mehr dulden, aber ich werde dich nicht schlagen. Nicht Du bist schlecht, aber Dein Verhalten.