Erkrath: Kirchenasyl für Famile aus Afghanistan
Die Familie landete im Dezember nach einer dreimonatigen Odyssee über den Iran, die Türkei, Griechenland und Italien in einem Erkrather Übergangsheim.
Erkrath. Die großen, braunen Augen suchen Blickkontakt, ein Hauch von Lächeln umspielt den Mund der 17-Jährigen. Sonya Sh., eine junge Frau wie viele andere. Sie besucht die neunte Klasse eines Gymnasiums, will anschließend studieren. Was sie erzählt, zerstört jede Normalität.
Es ist eine Geschichte über Gewalt und Leid. "Sie haben meinen Vater und meinen Großvater umgebracht. Meine Mutter haben sie vor meinen Augen mit Benzin übergossen, angezündet und ihr einen Arm gebrochen", sagt Sonja. Mari Sh. (34) überlebte den Anschlag schwer verletzt. "Sie", das waren Taliban in Afghanistan, wo Sonja mit ihrer Familie lebte.
Nach dieser "Bestrafung" für die pro-westliche Lebensweise sehen Schauspielerin Mari Sh. und ihr Lebenspartner, Nahidullah Y. (24) nur einen Ausweg - die Flucht. Mit Sonja, deren Bruder Soheil (15) und der kleinen Schwester Sameera (10) strandet die Familie im Dezember nach einer dreimonatigen Odyssee über den Iran, die Türkei, Griechenland und Italien in einem Erkrather Übergangsheim.
Am 19. Januar erhält sie einen Brief der Ausländerbehörde des Kreises Mettmann. Darin steht, dass am 26. Januar, 6.30 Uhr, die Abschiebung nach Italien ansteht. Italien deshalb, weil dort die Personalien der fünf Flüchtlinge notiert wurden. Nach EU-Recht hat das eigentliche Asylverfahren in dem europäischen Staat zu erfolgen, in den der Flüchtling zuerst eingereist ist - in diesem Fall Italien.
Erika Koch betreut in Erkrath seit 30 Jahren ehrenamtlich Flüchtlinge und Asylbewerber. "Als ich von der drohenden Abschiebung erfuhr, habe ich sofort Peter Knitsch angerufen", sagt sie. Der ehemalige Staatssekretär der Bündnisgrünen in Schleswig-Holstein arbeitet mittlerweile als Rechtsanwalt in Erkrath. Asylrecht ist eines seiner Fachgebiete.
Am 25. Januar, eine Nacht vor der Abschiebung, ist kein Aufschub für die afghanische Familie in Sicht. In dieser Situation entscheidet Pfarrer Volker Horlitz von der evangelischen Gemeinde in Erkrath-Hochdahl, der Familie Kirchenasyl zu gewähren.
"Wir wollen zunächst einen Zeitaufschub, damit alle rechtlichen, sozialen und humanitären Gesichtspunkte geprüft werden können", sagt er zur Begründung. Unterstützt wird er von Superintendent Frank Weber, dem Leiter des Kirchenkreises Düsseldorf-Mettmann. Dessen Meinung: "Kirchenasyl ist die Ausübung christlicher Beistandspflicht."
Als Folge dieses humanitären Verständnisses lebt die Familie seit dem 25. Januar an einem Ort, der geheim gehalten wird, um sie nicht zu gefährden - denn: "Der Landrat des Kreises Mettmann hat die Fahndung nicht ausgesetzt", sagt Peter Knitsch. Allerdings achteten die Behörden das Kirchenasyl.
Die Erkrather Tafel und drei Frauen der Flüchtlingshilfe sorgen für die Familie. Sie fahren die drei Kinder täglich zur Schule und holen sie ab, kümmern sich ums Essen und einen Arzt, wenn der Husten zu hartnäckig ist. Als die Familie gestern für eine Pressekonferenz den Schritt an die Öffentlichkeit wagt, sitzt die Mutter starr auf einer Bank. Ihre Mimik ist eingefroren.
"Ärztliche Gutachten bescheinigen ihre schwere Traumatisierung. Für den Fall der Abschiebung ist mit einem Selbstmordversuch von Mutter und Sonya zu rechnen", sagt Dietmut Meyer, die Sprecherin des Kirchenkreises. Er sehe gut Chancen, die Abschiebung nach Italien zu verhindern, so Knitsch im Gespräch mit unserer Zeitung.
Der Anwalt hofft, dass die Familie in den kommenden Tagen die Aufenthaltsgestattung für Deutschland erhalte. "Dann beginnt das eigentliche Asylverfahren." Sie vertraue der deutschen Polizei, sagt Sonya in gut verständlichem Deutsch, das sie täglich in einem VHS-Kurs büffelt. "Die Menschen hier sind so aufgeschlossen. Wir möchten gerne in Deutschland bleiben."