Kunst im Tageshospiz Nochmal leben vor dem Tod
Mettmann/Hochdahl · Wer als Gast ins Tageshospiz kommt, braucht auch Halt für die Seele. Dort gilt vor allem eines: Eines Tages werden wir sterben. Aber an den anderen Tagen nicht!
Erst starb ihr Mann. Dann die Mutter und eine Freundin. Als es bei ihr mit den Kopfschmerzen losging, haben es alle auf die Psyche geschoben. Die Trauer, der Stress: Kein Wunder, dass der Körper schlapp macht. Die Schmerzen wurden schlimmer, dazu noch der Tinnitus: Irgendwann fand sie sich in der sogenannten Röhre wieder. Diagnose nach dem MRT: Gehirntumor, unheilbar.
Beinahe ein Jahr später sitzt Ruth Lenhardt im Tageshospiz am Frühstückstisch. Die Narbe am Kopf ist nicht zu übersehen, zweimal wurde sie schon operiert. Sie beißt mit Appetit in ihr Brötchen, selbstverständlich ist das nicht. Oft hat sie keinen Hunger. Manchmal wird ihr übel – vor allem, wenn es irgendwo nach Essen riecht. Vielleicht kommt es vom Tumor in ihrem Kopf. Oder von den Medikamenten, die sie nehmen muss. So genau weiß das niemand, letztlich ist es auch egal. Und dennoch ist das mit dem Essen ein schwieriges Thema für Ruth Lenhardt, die Leute um sie herum sagen oft: Nun iss doch mal was!
Daniela van Darf kennt das Problem, die Psychoonkologin von der ambulanten Palliativversorgung (SAPV) spricht an diesem Morgen auch mit Ruth Lenhardt und macht ihr Mut. Sie solle auf ihren Körper hören: Wenn sie nichts essen wolle, dann sei das eben so. Es ist für Angehörige nicht leicht, das auszuhalten. Wer nichts isst, der stirbt irgendwann: So denken alle.
Herr M. wäre beinahe an den Tabletten gestorben, die sie ihm im Krankenhaus auf den Nachtisch gestellt haben. Seinen Namen will er nicht in der Zeitung lesen: „Dann kommen dann noch die Leute und wollen wissen, wie es mir geht.“ Nach 30 Jahren hat er seine Praxis verkauft, bis dahin hat er als Orthopäde vor allem eines gemacht: Seinen Patienten zugehört. Das mache aus seiner Sicht heute kein Arzt mehr, leider. Warum er zuhause gestürzt ist? Er weiß es nicht. „Auf einmal lag ich da…“, erinnert sich Herr M. an den Beginn einer Odyssee durch Kliniken. „Jetzt ist Schluss!“, habe er irgendwann den Ärzten gesagt. Sein Sohn ist bei ihm eingezogen, damit er Zuhause bleiben kann.
Der Tod ist im Tageshospiz allgegenwärtig
Worüber Herr M. nicht spricht: Der gebrochene Oberschenkel ist nicht der Grund, warum er zweimal in der Woche zum Tageshospiz kommt. Gäbe es nicht noch eine lebensverkürzende Diagnose, würde die Krankenkasse den Aufenthalt dort nicht bezahlen. Dass sie es tut, freut Herrn M. Er kommt gerne nach Hochdahl, mit einem Krankentransport: „Da werde ich dann reingeschoben. Klappe auf, und dann geht‘s los.“ Im Tageshospiz ist er an diesem Morgen der einzige Mann. Ein Gast ist am Abend zuvor gestorben. Um 19.02 Uhr, mit der letzten Zigarette in der Hand. Der Mann war oft vom stationären Hospiz nach unten zu den Tagesgästen gekommen, nun lebt er nicht mehr. Es wird still am Tisch, als für einen Augenblick der Tod dort einzieht.
Nahe ist er im Hospiz eigentlich immer, das weiß dort jeder. Aber soll man ihn dann auch noch einladen, indem man über ihn spricht? „Anfangs hat keiner darüber gesprochen, wenn jemand gestorben ist“, erinnert sich Anne Sobotta an die ersten Wochen nach der Eröffnung des Tageshospizes im Mai 2022. Dann haben sie entschieden: Das machen wir so nicht mehr!
Anne Sobotta ist ehrenamtliche Hospizbegleiterin, an diesem Morgen sitzt sie mit am Frühstückstisch. Das ist ein guter Ort, um die Trauer aufzufangen. Manche weinen, andere schauen still vor sich hin. Sie wissen es alle: Irgendwann wird dort jemand auch über ihren Tod sprechen. Aber bis dahin gilt vor allem das: Eines Tages werden wir sterben. Aber an allen anderen Tagen nicht!
Es gibt Tage, an denen wünscht sich Sandra Jäger, dass es schneller gehen möge mit dem Sterben. Vor allem dann, wenn sie allein zuhause sitzt mit Schmerzen. Sie spritzt sich selbst Morphium, das hilft. Man solle sie ruhig fragen, wie es ihr geht. Zuhören hilft auch. Im Tageshospiz gibt es immer jemanden, der das tut. Auch dann, wenn es zuweilen nur schwer auszuhalten ist. Ruth Lenhardt ist froh, dass sie noch lebt. Nach der Diagnose hat sie noch gearbeitet, dann wurde sie operiert. Es war knapp nach der OP, sie wäre beinahe an einem epileptischen Anfall gestorben. Dass schon viele Tränen geflossen sind, hätte sie nicht sagen müssen. Man weiß es auch so. Die Diagnose habe ihr der Arzt einfach so „vor den Latz geknallt“. Ihre Schwester saß daneben, sie selbst hat das alles nicht verstanden. Die Seele braucht Zeit, um mit so etwas klarzukommen. Nur dass man auch die manchmal nicht mehr hat.
Nach dem Frühstück schaut Anne Sobotta noch schnell „oben“ vorbei, vor ein paar Tagen ist eine Besucherin aus dem Tageshospiz ins stationäre Hospiz umgezogen. Diagnose: Gehirntumor. Der Ehemann ist zu Besuch, er bringt den Hund mit. Seiner Frau sei es plötzlich sehr schlecht gegangen. Er sei dankbar, dass sie nun gut betreut wird. Zum Malen will sie dennoch nicht runterkommen. Die Medikamente machen müde, sie schläft viel. Im Tageshospiz räumen sie nach dem Mittag noch schnell die Teller beiseite, bevor Tina Kreil die Wachsmalkreide auspackt. Die Kunsttherapeutin kommt schon seit Jahren ins Hospiz. Dass man nicht malen kann? Es kommt gar nicht erst auf, dieses Gefühl, wenn alle auch auf dem Blatt der anderen Hand anlegen. Krankheit, Sterben, Tod? Das ist alles gerade weit weg.