Landwirtschaft 4.0 Digital und auf den Zentimeter genau

Das Internet krempelt auch die Welt auf den Bauernhöfen gewaltig um. Traktoren fahren mittlerweile fast von allein.

Landwirt Johannes Paas im Cockpit seines neuesten Traktors.

Foto: Judith Michaelis

Ratingen. „Im Märzen der Bauer die Rösslein einspannt . . . Er pflüget den Boden er egget und sät und rührt seine Hände frühmorgens und spät.“ Generationen von Kindern haben gelernt: Bauer gleich Romantik gleich Mühsal. Mit der Gegenwart haben die Verse kaum etwas gemein. Wenn Johannes Paas, studierter Landwirt in Ratingen-Tiefenbroich, sein Tagwerk beginnt, gilt sein erster Blick dem Smartphone, das ihm den Wetterbericht und weitere Informationen für den Tag und den Arbeitsplan liefert. Der wandert dann aufs Tablet und mit dem Tablet aufs Feld. Landwirtschaft in digitaler Zeit.

300 Hektar bewirtschaftet der Schimmershof, plus 200 Hektar des Nachbarn in Kooperation, zwecks besserer Ausnutzung der Maschinen. Zuckerrüben, Weizen, Roggen, Gerste und Raps werden angebaut. Seit 250 Jahren durch die Familie Paas, zunächst in Pacht, seit Mitte der 80er Jahre als Eigentümer. Noch nie so effektiv wie heute. Die Acker-Fahrzeuge verfügen über GPS-gesteuerte autonome Lenksysteme, die „auf 20 Zentimeter genau arbeiten“, schwärmt Hanno Paas.

Der 67-Jährige leitet seit 2006 gemeinsam mit seinem Sohn das Unternehmen in siebter bzw. achter Generation. „Wir arbeiten gezielter, sparsamer — zum Beispiel bei Diesel und Dünger —, umweltschonender und ertragsorientierter“, fasst der 34-jährige Johannes zusammen und nennt Zahlen: „Wir sparen zirka vier bis fünf Prozent der Kosten ein.“

Wer die steilen Metallstufen zum, erst im letzten Jahr angeschafften, Traktor erklommen hat, betritt in über zwei Metern Höhe ein beeindruckendes Cockpit, das von der Klimaanlage bis zum Kühlschrank, vom luftgepolsterten, per Joystick zu verstellenden Fahrersitz bis zum Multifunktions-Touchsreen technisch auf Stand ist. Über den Bildschirm holt sich der Fahrer wischend und tippend alle Daten, die er braucht, um sein Feld zu bestellen.

Das programmierte Fahrzeug fährt von allein, haargenau auf Linie und immer nur dort, wo es noch nicht war. Der Fahrer kann sich entspannt zurücklehnen und mit geschultem Auge die Umgebung studieren. Dabei hilft ihm ein weiterer Monitor über seinem Kopf, der die Fahrt aus anderer Perspektive verfolgt. Oder der Fahrer erledigt, wie der diplomierte Agrar-Ingenieur Paas, die auch in der Landwirtschaft überbordende Büroarbeit, die ihn sonst ans Haus fesseln würde.

„Das größte Potential“ sieht Paas Junior denn auch darin, dass der Mitarbeiter entlastet wird und nicht mehr „krampfhaft lenken muss“. Der körperlichen Entspannung steht freilich die größere geistige Beanspruchung entgegen. Die Mitarbeiter des Hofes müssen mit der Technik wachsen, alle drei Jahre spätestens ist eine ganztägige Schulung fällig.

Beim kostenintensiven Düngen kommt eine 28 bis 30 Meter breite Maschine zum Einsatz, was in früheren Jahren viel Geschicklichkeit und manuelle Korrekturen erforderlich machte. Heute sind die „Arme“ des Fahrzeugs mit Sensoren bestückt, die dafür sorgen, dass diese immer 50 Zentimeter über dem Boden bleiben, egal wie der beschaffen ist. Außerdem weiß das Fahrzeug, wo schon gespritzt wurde und wo nicht, schaltet sich entsprechend ein und aus.

Ist die Arbeit auf dem Feld beendet, wird deren Dokumentation gleich mitgeliefert — lückenlos und per Knopfdruck. Zettelwirtschaft und mühsame Auswertung am Wochenende sind passé, die Schlagkartei (Aufzeichnung) wird digital geführt und in der Internet-Cloud gespeichert.

Angst um ihre Daten haben Vater und Sohn Paas, im Unterschied zu manchen Kollegen, nicht —„wir produzieren eh gläsern“. Auch haben die beiden im dicht besiedelten Ratingen keine Probleme mit der Internetverbindung, die gerne in wirklich ländlichen Gegenden zusammenbricht.

Und die Zukunft? Gehört den Apps, die zum Beispiel bei der Unkrauterkennung oder bei der Einstellung des Düngerstreuers helfen. Und die den stationären Computer im Büro bald arbeitslos machen. „Auch Drohnen werden sich durchsetzen“, meint Johannes Paas, der Erfahrungen bei der raschen Feststellung von Hagelschäden und bei der Wildrettung sammeln konnte. Allerdings sind die „fliegenden Kameras“ noch ziemlich teuer. Weitere Erkenntnisse liefern Satellitenbilder, die auch Daten über die Entwicklung der Felder ermöglichen.

Fahrerlose Ackergeräte dagegen sieht Paas nicht. Das sei nur was für Riesenflächen wie in den USA.“Bei uns wird es eher darum gehen, die Maschinen effektiver, schneller, spritsparender machen.“

Trauert der Senior und Landwirtschaftsmeister Paas der Beschaulichkeit früherer Zeiten nach? Klares Nein: „Das ständige Lernen ist doch gerade das Schöne daran.“ Und sein Sohn und Ortsvorsitzender des Bauernverbandes ergänzt: „Die Technik erleichtert zwar die Arbeit, aber das Bauchgefühl vor Ort bleibt und macht den Beruf aus. Landwirtschaft ist eben sehr vielseitig.“