Ratingen Jugendliche unternehmen Glaubensreise

Ratingen/Breslau · Junge Ratinger haben in Breslau an einem Taizé-Jugendtreffen teilgenommen. Simon Müller berichtet über das Treffen.

 Die Ratinger Jugendlichen zusammen mit ihren Gastgebern in Breslau.

Die Ratinger Jugendlichen zusammen mit ihren Gastgebern in Breslau.

Foto: RP/Privat

. Lange Menschenschlangen an der Essensausgabe, volle Straßenbahnen, kalter Wind und dennoch eine durchweg entspannte und ausgelassene, zugleich besinnliche Stimmung. Über den Jahreswechsel versammelten sich anlässlich des Europäischen Taizé-Jugendtreffens im polnischen Breslau rund 14 000 Jugendliche und junge Erwachsene. Das Treffen bot nicht nur die Möglichkeit des intensiven Glaubensaustausches, sondern war auch Anlass, sich über Ländergrenzen hinweg zu
verbinden.

In Kirchen, der Jahrhunderthalle und der Kathedrale fanden sich so täglich tausende Menschen zusammen und beteten gemeinsam für Versöhnung und den Frieden auf der Welt. In Workshops wurde unterdessen mit Politikern, Wissenschaftlern und Organisationen diskutiert, vor welchen politischen Herausforderungen Europa und die Welt stehen, wie man diese angehen kann oder wie man auf den Klimawandel sinnvoll aufmerksam machen und ihn wirksam bekämpfen kann.

Die Vielfalt der Kulturen
soll wertgeschätzt werden

Im Fokus stand hier: nicht die Diversität in unserem Denken und Handeln vereinheitlichen, sondern vielmehr die Vielfalt der Traditionen, Kulturen, Denkweisen wertschätzen. So beschrieb es Bruder Alois in seinen Worten am letzten Abend des Treffens.

In den direkten Kontakt mit Menschen aus aller Welt kamen wir Ratinger vor allem durch unsere Gastgemeinde, in die wir für die Dauer des Treffens aufgenommen wurden. Hier fanden wir uns neben Taizé-Gebeten und der Silvesterfeier zu sogenannten Bibelgruppen zusammen, in denen wir die Chance bekamen, uns mit jungen Menschen aus den verschiedensten Ländern zu unterhalten und zu erfahren, welche Hoffnungen und Freuden, aber auch Sorgen und Nöte ihr Leben prägen – ganz im Sinne des Leitwortes des Treffens: „Unterwegs und doch verwurzelt bleiben“.

Fremde Menschen können wir erst dann besser verstehen, wenn wir sehen, in welchen Kulturen, Traditionen, Erlebnissen sie verwurzelt sind. Und so war es ein ganz besonderes Erlebnis zu verstehen, dass wir trotz vieler Unterschiede doch auch eine gemeinsame, für uns sehr wertvolle Wurzel haben: das Vertrauen in Gott.

Neben diesem intensiven Austausch bleibt uns die zutiefst beeindruckende Gastfreundschaft in Erinnerung, die uns in den polnischen Gastfamilien zuteil wurde. Wir durften jeweils in Zweiergruppen bei einer Gastfamilie wohnen. Uns wurden leckere polnische Gerichte aufgetischt, die eigenen Schlafzimmer überlassen, meist wurde das ganze Familienleben auf unseren Besuch hin ausgerichtet. Teilweise schliefen die Gasteltern auf einer ausgezogenen Couch, damit wir ein richtiges Bett hatten.

Eine solche intensive Offenherzigkeit, so ehrlich gelebte Gastfreundschaft haben wir zuvor nie erlebt. Diese Gastfreundschaft erfuhren wir alle in den unterschiedlichsten Gastfamilien, aber besonders mit einer Gastfamilie bauten wir in kürzester Zeit eine tiefgehende Beziehung auf: Angefangen mit einer Einladung an die ganze Gruppe zu einer wärmenden Suppe, durften wir täglich als gesamte Gruppe im Wohnzimmer Platz nehmen und wurden von der Familie mit Kohlrouladen, Kuchen und Tee verwöhnt.

Wir packten zum Dank für diese Gastfreundschaft die Gitarren aus, und so saßen wir teils stundenlang gemeinsam im kleinen Wohnzimmer, sangen polnische, deutsche, englische Lieder und spürten, wie aus fremden Menschen Freunde – fast schon Familie – wurden. Ist dies zwischen Polen und Deutschen selbst in der Generation von Jugendlichen noch etwas Besonderes, so war es umso beeindruckender, dass an diesem Tisch die Eltern und vor allem der Großvater unserer Gastgeschwister saß.

Wie wir bald von einem der Gastgeschwister erfuhren, wurde der Vater des Großvaters im Zweiten Weltkrieg in ein Arbeitslager nach Berlin verschleppt, und seine Mutter verbat der Familie daraufhin, fortwährend Deutsch zu sprechen. Der Großvater selbst musste Gräueltaten der Nazis miterleben. Aus diesen schrecklichen, prägenden Erfahrungen entwickelte sich bereits in früher Kindheit ein Hass auf alles Deutsche.

Das Unwohlsein, deutsche Jugendliche in seinem Hause aufzunehmen, lies er sich nie anmerken. Ganz im Gegenteil, er nahm mehr und mehr unsere Hände, drückte sie ganz fest an sich und offenbarte durch ein wiederholtes Zeigen hin zu seinem Herzen, dass sich etwas für ihn verändert.

Der Großvater hat seinen Groll gegen das Deutsche überwunden

Und doch beeindruckte uns umso mehr das Zeugnis, das uns die älteste Gastschwester nach unserer Abreise zusandte. Sie schrieb: „Ich bin so dankbar dafür, dass ich durch euch Taizé kennenlernen durfte, aber vor allem auch dafür, dass ihr das Herz meines Großvaters verändert habt. Ihr habt keine Vorstellung davon, wenn ein älterer Mann mit einem tiefsitzenden Groll gegen alles Deutsche nach eurer Abreise sagt: ,Ich nahm die Deutschen in den Arm. Es ist Zeit zu vergessen. Es ist sehr, sehr hart, aber die Zeit dafür ist nun gekommen.‘ Es ist so gut, dass sie hier waren. Das gemeinsame Singen war so wunderbar – ich wünschte, ich hätte die Bedeutung ihrer Lieder verstanden. Was zwischen euch und meinem Großvater passiert ist – die Versöhnung, ein Augenblick des Friedens, der unsere Herzen erfüllt hat – das ist es, was diese Tage so besonders gemacht hat.“ Diese Worte drücken ansatzweise das aus, was wir in Breslau an wirklich bewegender Freundschaft und Versöhnung erfahren durften. Es zeigt, dass alte Wunden noch lange nicht verheilt sind, dass aber Versöhnung möglich ist, wenn man ohne Vorbehalte aufeinander zugeht und sich vertraut.

Der französische Ort Taizé ist durch die ökumenische Gemeinschaft von Taizé bekannt geworden, die 1942 von Frère Roger gegründet wurde. Red