Weihnachtszeit in Ratingen Kirchenangebot „anderer Advent“ erfreut sich größerer Beliebtheit

Kaum jemand in Ratingen hat während der Adventszeit so viele Kerzen angezündet wie Dirk Oberbanscheidt. Er ist Küster der evangelischen Stadtkirche. Jeden Abend bereitete er das Gotteshaus für den „anderen Advent“ vor. Ein Angebot, das immer mehr genutzt wird.

  Jeden Abend zündet Küster Dirk Oberbanscheidt in der evangelischen Stadtkirche rund 100 Kerzen an.

 Jeden Abend zündet Küster Dirk Oberbanscheidt in der evangelischen Stadtkirche rund 100 Kerzen an.

Foto: Achim Blazy (abz)

Wenn Dirk Oberbanscheidt in der Adventszeit gegen 17 Uhr die evangelische Stadtkirche betritt, ist er dort ganz allein – noch. Auf seinem Gang durch die Reihen warten rund 100 Kerzen darauf, angezündet zu werden. Jeden Abend. Sie werden die Kirche in warmes Licht tauchen und einen Hauch von Geborgenheit verströmen. Denn das ist genau das, was die Besucher der Kirche in diesen Tagen suchen.

„Weihnachten ist eine Zeit der Besinnlichkeit“, sagt Oberbanscheidt. Doch die sei längst einer hektischen Betriebsamkeit gewichen. Um den Menschen eine Möglichkeit zur Entschleunigung zu bieten, rief die Gemeinde vor 22 Jahren den „anderen Advent“ ins Leben. „Das ist eine halbe Stunde, in der die Besucher der Kirche runterkommen und abschalten können“, so Oberbanscheidt. Phasen der Stille wechseln sich mit Text- und Musikvorträgen ab. „Für jemanden, der zum ersten Mal hier ist, mag das seltsam und ungewohnt sein“, so der Küster. Stille müsse man auch aushalten können. Für viele eine Herausforderung.

Und doch stellt er fest: „In der Adventszeit kommen viele Menschen in die Kirche, die ich sonst hier nicht sehe. Und die meisten kommen wieder.“ Zumindest zum anderen Advent.

„Es ist die Kombination aus der Stimmung und dem warmen Licht“, ist Oberbanscheidt überzeugt. „Die Besucher fühlen sich gut aufgehoben.“ Texte und Musikauswahl hätten nicht zwingend mit dem Weihnachtsfest zu tun. So habe der koreanische Tenor Dong Hoon Kim die Kirche mit seiner kraftvollen Stimme gefüllt und bei den Besuchern für Gänsehautmomente gesorgt. Er ist, wie viele andere Vortragende, seit vielen Jahren regelmäßiger Gast in der evangelischen Stadtkirche. Es gibt Besucher, die nur seinetwegen in die Kirche kommen.

„In den ersten Tagen sind es meist nur wenig Menschen, die den Weg in die Kirche finden“, berichtet der Küster, der den anderen Advent seit 2014 betreut. Dann scheine sich die besondere Stimmung herumzusprechen, und je näher es auf Weihnachten zugeht, desto mehr Menschen kommen. „30 Minuten sind eine Zeitspanne, die viele erübrigen können“, so der Ratinger, der beobachtet, dass es durchaus positive Auswirkungen hat, wenn sich die Kirchenbesucher vom Alltag lösen und auf etwas Unbekanntes einlassen.

Oberbanscheidt nimmt
vielfältige Aufgaben wahr

Das ganze Jahr über hat Dirk Oberbanscheidt vielfältige Aufgaben. Er bereitet als Küster die Gottesdienste vor und nach, kümmert sich um das Gemeindehaus und das Haus am Turm, ist im Presbyterium im Bauausschuss, die Fäden für Kurse, Geburtstage oder Vermietungen laufen bei ihm zusammen, und er ist als ehrenamtlicher Notfallseelsorger im Einsatz. Da geben ein paar Minuten der Stille wieder Kraft. „Ich genieße die Stimmung und die Menschen“, sagt er. Die Menschen liegen dem Küster besonders am Herzen. „Ich führe viele Gespräche und habe oft einen sehr direkten Draht zu den Besuchern“, sagt er.

Er selbst weiß genau, dass das Leben manchmal ein paar Überraschungen parat hat. Denn eigentlich ist Oberbanscheidt Energieanlagenelektroniker. Doch als in Tiefenbroich eine Stelle als Küster ausgeschrieben war, griff er zu. Und blieb. Einige Jahre später wechselte er zur Stadtkirche. Oberbanscheidt hat seine Bestimmung gefunden. Wenn die Menschen im anderen Advent die Kirche mit einem Lächeln auf den Lippen verlassen, dann macht ihn das zufrieden. Ob er nicht enttäuscht ist, wenn der ein oder andere nur im Advent die Kirche betritt? „Nein, im Gegenteil. Ich freue mich über jeden, der zu uns findet. Jeder ist hier herzlich willkommen“, sagt er. Umso schöner, wenn die Besucher wiederkommen. Am 23. Dezember hat Oberbanscheidt in diesem Jahr zum letzten Mal die 100 Kerzen angezündet. Und wenn alle anderen Bürger sich auf das Fest und ein wenig Freizeit einstellen, dann herrscht bei dem Küster rege Betriebsamkeit. Zwischen 15 und 17 Uhr lädt das Krippenspiel im Haus am Turm ein. Zur selben Zeit finden vor der Kirche im 20-Minuten-Takt Andachten unter freiem Himmel statt. Der Tag endet mit der Christmette um 23 Uhr. Im Hause Oberbanscheidt wird deshalb einen Tag früher Weihnachten gefeiert. Die Familie trifft sich bereits am 23. Dezember zum gemütlichen Beisammensein.