Neuer Burgherr dringend gesucht
Seit drei Jahren wird Burg Gräfgenstein zum Kauf angeboten. Der Preis ist mittlerweile von 1,2 Millionen auf 880 000 Euro gesunken.
Ratingen. Der viereckige Turm am Steilhang über der Anger wirkt wuchtig und wehrhaft. Gräfgenstein ist nicht Sanssouci, sondern eine rheinische Trutzburg. Im Wohnturm verteilen sich 16 Zimmer mit gut 450 Quadratmetern über vier Etagen hinter dicken Mauern, auf denen ein Denkmalschutzsiegel klebt. Ob dennoch oder deswegen — seit mehr als drei Jahren steht das Anwesen leer zum Verkauf.
Ein kürzlich neu gestarteter Immobilienmakler hat sogar als erstes den Preis gesenkt: Statt 1,2 Millionen Euro wie zuletzt Anfang 2015 werden derzeit 880 000 Euro für das Kernanwesen aufgerufen — ohne die umliegenden, rund 32 000 Quadratmeter Acker- und Weideland, die samt einer weiteren, modernen Scheune für eine gute Viertelmillionen dazu gekauft werden können, aber laut Exposé nicht müssen.
Eine Raubritter-Burg als Ladenhüter? Die neue Vermarktung schildert den Zustand des Anwesens in bemerkenswerter Klarheit: „Sanierungsbedürftig“ lautet die Einstufung durch die Immobilienexperten, was durch Fotos von offenen Decken, massiven Stützkonstruktionen, groben Wänden mit zweifarbigem Putz und Zimmern mit Bauschutthaufen belegt wird.
Im Text hebt die Vermarktung des über 760 Jahre alten Anwesens komplett ab auf die Steuervorteile, die die Modernisierung eines solchen Baudenkmals einem Investor ermöglicht: „In den ersten acht von insgesamt zwölf Jahren können nach den AfA-Abschreibungsregeln für Denkmale neun Prozent der gesamten Sanierungskosten geltend gemacht werden, in den restlichen vier Jahren sind es noch sieben Prozent. Bei Eigennutzung: neun Prozent der gesamten Sanierungskosten für eine Laufzeit von zehn Jahren (§10 EStG).“ Auf Burg Gräfgenstein könne man sich seinen Lebenstraum vom Leben im Grünen erfüllen und dabei Steuern sparen.
Wem dabei die vielen, allerdings unbewiesenen Geschichten von der alten Raubritter-Burg Gräfgenstein einfallen, der ist wahrscheinlich bloß neidisch. Entlang der 875 erstmals urkundlich erwähnten Anger sicherte im Mittelalter eine Reihe von Adelssitzen und Wehrhöfen den Warenverkehr ab. Im 13. Jahrhundert bildete diese Angerlinie die Nordflanke der Grafen von Berg. Burg Gräfgenstein wurde erstmals 1254 urkundlich erwähnt und hatte vermutlich die Aufgabe, beim Angerübertritt unterhalb des Anwesens Zölle zu erheben.
In den folgenden Jahrhunderten wechselten die Bewohner der Burg häufig. Zumeist kamen verdiente Beamte als neue Burgherren; zumindest der Papierform nach keine finsteren Raubgesellen. Zuletzt war das Erdgeschoss des Wehrturms bis 2014 durch einen Schlosser bewohnt. Hat ein zu strenger Denkmalschutz bisher verhindert, dass sich für das Anwesen mit wunderschönem Fernblick ein passender Investor findet? Immerhin sind der Turm plus die unmittelbaren Anbauten von Amts wegen als erhaltenswert eingestuft. Der für das Thema Bauen zuständige Dezernent der Stadt Ratingen, Jochen Kral, sagt: „Kein Denkmalschutz sollte der Nutzung eines solchen Objektes im Wege stehen.“ Denn leerstehende Gebäude leiden, genutzte Gebäude werden gepflegt. Das gesamte Anwesen sei mutmaßlich als kulturhistorisch und landschaftlich prägend eingestuft. „In solchen Außenlagen können Auflagen des Denkmalschutzes ein wenig flexibler gehandhabt werden als in denkmalgeschützten Innenstadtlagen“, so Kral.
Ein Beispiel: „Wenn eine Nutzung des Wehrturms als Seminargebäude angestrebt wird, kann man in Abstimmung mit der Behörde durch die Fenster so weit vergrößern, dass die als Notausstiege anerkannt werden können.“ Natürlich dürfe ein Besitzer nicht aus einem viereckigen Turm plötzlich einen achteckigen machen. Zumindest zeigt der Dezernent die Bereitschaft zum Gespräch. Vorausgesetzt, es findet sich für Burg Gräfgenstein jemand, der viel Geld und Enthusiasmus mitbringt.