Bücherzellen: Viel Lesestoff am Busbahnhof
Die Regale in den früheren Telefonzellen am Nevigeser Busbahnhof sind gut gefüllt, die Zahl der Nutzer ist noch recht gering.
Neviges. Eine halbe Stunde tut sich gar nichts. Schüler, Rentner und Frauen mit vollgepackten Taschen laufen an den zwei Telefonzellen, die unter dem Wartehäuschen am Nevigeser Busbahnhof stehen, achtlos vorbei. So wenig heutzutage Menschen noch mit öffentlichen Fernsprechern telefonieren, so wenig interessieren sie sich an diesem grauen und nassen Tag für Bücher. Zumindest für die Literatur, die in dem roten englischen Telefonhäuschen und der silbergrauen französischen Zelle in Holzregalen einsortiert ist.
Aber dann öffnet doch ein Mann die Tür der englischen Telefonzelle, geht mit nur einem Fuß hinein, hält die Tür mit dem anderen Fuß geöffnet und verbiegt seinen Oberkörper artistisch, um die Titel auf den Buchrücken lesen zu können. Aber für ihn scheint nichts dabei zu sein. Er hat kein Buch in der Hand.
„Nein, ich habe nichts zum Lesen gesucht, wollte nur mal gucken, was für Bücher drinnen stehen“, sagt Gerd Großhennig. „Baff“ war der Mann aus der Bücherstadt Langenberg, dass er sogar die Deutschstunde von Siegfried Lenz gefunden hat. „Aber ansonsten ist es doch eher Literatur aus den 70er-Jahren“, sagt er. Konsalik, Simmel und andere Bestsellerautoren aus dieser Zeit finden sich in dem öffentlichen Bücherschrank.
In der englischen Zelle, die aus Velberts Partnerstadt Corby stammt und von der Telekom ausgemustert wurde, hat der Verein S.O.S. (Sozial-Orientierter Service) Bücher für Erwachsene eingeräumt. In der französischen Zelle aus der Partnerstadt Chattellerault können Kinder und Jugendliche Lesestoff finden.
Was allerdings die „Neue-Welt-Übersetzung der Heiligen Schrift“ in dieser Zelle zu suchen hat, weiß Großhennig nicht und wundert sich. Es handelt sich dabei nämlich um eine Bibel der Wachturmgesellschaft, der Zeugen Jehovas. Wilhelm Haufs „Das Geisterschiff“, „Onkel Toms Hütte“ oder Pferdebücher und Abenteuergeschichten finden sich ebenfalls in der französischen Telefonzelle und warten auf junge Leser.
Postbotin Sabine Groß, die Briefe in die Häuser rund um den Nevigeser Busbahnhof steckt, hat noch nicht gesehen, dass jemand neugierig seine Nase in die Bücherzellen gesteckt hat. Dagegen erzählt Rosi im Kiosk des Busbahnhofs, dass sie schon Leute gesehen hat, die in die Zellen geschaut und auch ein Buch mitgenommen haben. Sie interessiert nicht, was dort für Bücher stehen. „Ich bin keine Leseratte“, sagt die Frau im Kiosk.
Und auch im Nevigeser Back-Treff hat Verkäuferin Heike Joest aus dem Laden heraus beobachtet, „dass jemand ein Buch aus der Zelle herausgeholt hat. Ich frage mich nur, ob sie die auch wieder zurückbringen“, meint sie und zieht ihre Stirn in Falten.
Vor mehr als einem Jahr ist die Idee geboren worden, die ausgedienten Telefonzellen als Bücherdepots zu nutzen. Die Bücherzellen funktionieren wie das „book-crossing“: Jeder kann sich kostenlos ein Buch ausleihen, es behalten, zurückstellen oder auch eigene Bücher dazustellen.