Diese Kita widersetzt sich geraden Linien
Im Jahr 2001 wurde am Düsseler Tor der vom eigenwilligen Künstler Friedensreich Hundertwasser gestaltete Kindergarten eröffnet.
Wülfrath. Die moderne Architektur? Kriminell steril. Gerade Linien? Der Untergang der Menschheit. Das Lineal? Ein Symbol des Analphabetentums! Es gab so einiges, bei dem er nicht mit sich reden lassen wollte. Stattdessen plauderte Friedensreich Hundertwasser gern über sein „Fensterrecht“: „Ein Mann in seinem Mietshaus muss die Möglichkeit haben, sich aus seinem Fenster zu beugen und — soweit seine Hände reichen — das Mauerwerk abzukratzen. Es muss ihm gestattet sein, mit einem langen Pinsel alles rosa zu bemalen, damit man von der Straße aus sehen kann: Dort wohnt ein Mensch!“
Mauern zersägen, Zimmer mit Schlamm ausfüllen und so das harmonische Bild vermeintlicher Meisterwerke der Architektur zerstören: All das sei ja in Mietverträgen leider verboten, beklagte Hundertwasser die Unmenschlichkeit des modernen Wohnungsbaus. Sein Tun war hingegen vor allem eines: ein anarchistischer Ausbruch aus einer Enge, in der Individualität keinen Platz hat. Vermutlich hat sich am Düsseler Tor noch niemand aus dem Fenster gelehnt, um selbst herumzupinseln. Aber wer sich dort umschaut, bekommt eine Ahnung davon, was der Künstler mit seiner Architektur wohl gemeint haben könnte. Damals hatte er sich Stift und Papier zur Hand genommen, um der Stadt Wülfrath ein Geschenk zu machen: Ein Zwiebelturm sollte es sein, dazu noch vergoldet. Reiche und Mächtige hätten doch immer schon Türme gehabt. Das aber der moderne Durchschnittsmensch auch vergoldete Türme haben kann, war neu. All das gab Friedensreich Hundertwasser damals demjenigen mit auf den Weg, der am Düsseler Tor die Ideen des Meisters lebendig werden lassen sollte: Architekt Heinz M. Springmann.
Der wiederum hatte sich zu Beginn der Zusammenarbeit mit dem Künstler erstmal tiefenentspannt in einen Hinterhof gesetzt. „Ich habe versucht, Hundertwasser zu verstehen und seine Gedanken als Mittler auf der Baustelle umzusetzen“, erinnerte sich Springmann an ein kreatives Miteinander, das beide unter anderem auch nach Wülfrath geführt hat. Ob Hundertwasser selbst jemals hier gewesen ist? Wir wissen es nicht. Was wir aber wissen, ist: Er lebte in jedem Wort, das Architekt Heinz M. Springmann vor Ort an die Handwerker richtete.
Die wiederum hatten im Kindergarten offenbar ihre liebe Mühe damit, erstmal alles zu vergessen, was auf Baustellen normalerweise üblich ist. Jedenfalls schaute Trennwandbauer Mundehasic damals — inmitten eines im Stile Hundertwassers gefliesten Toilettenraums — kopfschüttelnd auf seine Wasserwaage, um sich an das zu erinnern, was ihm Architekt Springmann mit auf den Weg gegeben hatte: „Vergessen Sie Lot und Fluchtrecht, entwickeln Sie Kreativität. Hier ist Gestaltung gefragt.“
Kreativität war übrigens auch bei der GWG gefragt, die sich damals als Bauträger für die kühnen Pläne ins Zeug gelegt hatte. Zuvor hatte es schon kritische Stimmen gegeben, die Politik fürchtete die Kosten eines solchen Projektes. Denn ein echter „Hundertwasser“ war nun mal teurer als das, was man üblicherweise so mauerte. Hinzu kam auch, dass die vom Meister kreierte Kuppel unbedingt vergoldet sein sollte. „Wir haben die Mehrkosten übernommen“, erinnert sich der damalige Bauleiter und GWG-Architekt Uwe Sander. Dabei ist ihm vor allem der Aufbau der Kuppel in bester Erinnerung geblieben. Denn der sprengte vermutlich den Rahmen all dessen, was man architektonisch bei der Wohnungsbaugesellschaft bislang gewohnt war. Zunächst wurde die mit Kupfer verkleidete Holzkonstruktion aufs Dach gesetzt. Und dann kam das Gold. „So etwas hatten wir vorher noch nie gemacht. Das war schon schwierig“, plaudert Sander aus dem Nähkästchen. Um das Blattgold bezahlen zu können, hatte die GWG ein von Hundertwasser signiertes Kunstblatt herausgegeben.
In einer Auflage von 500 Stück sollten dadurch nicht nur die 30 000 Mark für die Vergoldung der Kuppe erwirtschaftet werden, sondern auch ein Teil der 100 000 Mark, die bereits zuvor das Düsseler-Tor-Modell gekostet hatte.