Oberstes Gebot ist die Anonymität

Der Psychotherapeut Klaus Büssow arbeitet seit vielen Jahren bei der Telefonseelsorge. Jetzt berichtete er über seine Aufgabe.

Oberstes Gebot ist die Anonymität
Foto: dpa/Balk

Neviges. „Es ist eine wunderbare Aufgabe. Es gibt uns das wunderbare Gefühl, dass es gut ist, dass es uns gibt.“ So der Standpunkt von Klaus Büssow, der vor der politischen Frauenrunde der CDU Neviges über seine langjährige Tätigkeit bei der Telefonseelsorge sprach. Bevor sich die Mitarbeiter das erste Mal ans Telefon setzen, durchlaufen sie eine 120 Stunden dauernde Ausbildung. „Man wird behutsam in seine Aufgabe eingeführt, am Anfang ist man mit alten Hasen zusammen, die hören zu, nachher spricht man drüber. Daneben tauscht man sich einmal im Monat bei einer Supervision aus. So lernt man, mit den Themen umzugehen, auch damit sie einem nachts nicht über die Bettdecke laufen.“

Oberstes Gebot ist die Anonymität
Foto: Bahrmann

Bei drei Prozent der Anrufer handelt es sich um Menschen, die sich töten wollen. „Aber es gibt auch Leute, die sagen, sie müssten nur mal mit jemanden sprechen und man redet über belanglose Dinge. Wenn Menschen in Einsamkeit leben, ist nachts alles schlimmer. Wenn morgens die Sonne aufgeht, ist es wieder besser. Manchmal reicht es aus, wenn man mal mit jemanden gesprochen hat. Wo gibt es das noch, dass jemand zuhört“, fragt Klaus Büssow, der eine Praxis für Psychotherapie betreibt und von der 60 Jahre alten Einrichtung der Telefonseelsorge begeistert ist.

Klaus Büssow, Telefonseelsorger

„30 Prozent sind Daueranrufer, manche melden sich drei bis viermal jeden Tag. So gibt es einen Behinderten, der sich jeden Morgen meldet, bevor er zu seinem Arbeitsplatz in einer Behindertenwerkstatt fährt, abends ruft er wieder an, und sagt, was er so getan hat, auch wenn man ihn kaum verstehen kann.“ Die Daueranrufer kriegen intern einen Namen, wie die „Italienerin“, die „Diabetikerin“ oder der „Nichtduscher“, der immer mal wieder zum Hörer greift, um mitzuteilen, dass er sich seit drei Wochen nicht mehr geduscht hat. „Wir versuchen, möglichst keine Ratschläge zu geben und Entscheidungen zu übernehmen“, betont Büssow. „Wir können keine Verantwortung übernehmen. Wenn sich jemand das Leben nehmen will, können wir ihm nur sagen, dass die Entscheidung bei ihm liegt, aber wir werden alles tun, ihn zu beeinflussen, ihn nachdenklich zu machen. Ein Zeitgewinn von ein paar Stunden ist schon ein Erfolg. Wenn ein Anrufer mitteilt, ich werde mich töten’, fangen wir gar nicht erst an, Polizei und Notarzt zu rufen, sondern wir lassen uns erklären, was alles zusammengekommen ist. Da ist in der Regel viel zusammengekommen. Dann versuchen wir, herauszubekommen, ob es da Ressourcen gibt, woran man sich gerne erinnert. Hat jemand Kinder, ist das alles wieder ganz anders.“

Ein Grundprinzip der Telefonseelsorge ist gegenseitige Anonymität: „Wir sehen auch keine Rufnummer. Es ist so wie bei der Beichte, wo es auch die absolute Anonymität und Verschwiegenheit gibt.“ Die Anrufe bei der Telefonseelsorge sind das ganze Jahr über gleichmäßig verteilt mit einem minimalen Zuwachs in den dunklen Monaten des Herbstes mit den Totengedenktagen. Bei den Themen stehen psychische Erkrankungen an erster Stelle, gefolgt von Konflikten in der Partnerschaft sowie bei Problemen in Familie und Verwandtschaft.

Büssow weiß auch von Testanrufen übermütiger Jugendlicher. „Wenn ein 14-Jähriger anruft und sagt, er habe seine Mutter geschwängert, legt er dann ganz schnell auf, wenn man fragt, mit welchen Mitteln diese Schwangerschaft denn festgestellt wurde.“