Ratingen: Begehung - Senioren haben West im Blick
Agatha Joußen führte andere Mitglieder des Seniorenrats durch „ihren“ Stadtteil und machte so auf Probleme und Chancen aufmerksam.
Ratingen. Es ist windig. Und kalt. "Aber die Aussicht entschädigt für alles", sagt Margarethe Schwerdtfeger und zeigt in Richtung Düsseldorf.
Der Himmel über Ratingen-West ist wolkenfrei um die Mittagszeit, sodass man hier oben - auf einem der 15-stöckigen so genannten Papageienhäuser des Stadtteils - sogar den Fernsehturm der Landeshauptstadt sehen kann.
Schwerdtfeger ist Vorsitzende des Seniorenrates, der auf Initiative seines Mitglieds Agatha Joußen einen Rundgang durch Ratingen-West macht.
Acht Mitglieder des elfköpfigen Rates stehen gemeinsam auf der Aussichtsplattform des Hochhauses und begutachten die Szenerie.
"Von hier oben sieht man erstmal, wie grün es hier ist", sagt eine der Teilnehmerinnen, woraufhin Joußen strahlt. Denn genau darum geht es ihr: das Image des als "Problemviertel" verschrieenen Stadtteils.
"Unser Problem ist, dass ich die einzige bin, die hier in West wohnt. Die restlichen Ratsmitglieder leben alle in anderen Stadtteilen und haben ein völlig falsches Bild von West", sagt Joußen, die davon überzeugt ist, "dass auch hier etwas für Senioren getan werden muss" und die Voraussetzungen "gar nicht schlecht" sind. Und damit die übrigen Mitglieder auch wissen, worüber sie debattieren, hat Joußen ihre Kollegen eingeladen.
Kaum ist der Fahrstuhl wieder im Erdgeschoss angekommen, geht die Begehung des Ortsteils weiter. Durch die kleine Einkaufspassage, in der Joußen die interessierten Zuhörer auf die Obsthändlerin, den Zeitungskiosk, die Apotheke und die Ärzte aufmerksam macht, geht es über die Dieselstraße. "Sehen sie sich die schönen Vorgärten an. Hier macht niemand etwas kaputt", sagt Joußen mit Nachdruck.
Man merkt ihr in jeder Sekunde an, wie wichtig es ihr ist, dass Vorurteile über den Stadtteil, in dem 2008 ein Mensch ermordet und ein weiterer von der Polizei erschossen wurde, abgebaut werden.
Nicht erst seitdem hat West mit all seinen Hochhäusern einen zweifelhaften Ruf. Doch diese Ecken will Joußen nur streifen, sie will die andere Seite des Ortsteils, in dem rund 20000 Menschen leben, zeigen.
So gibt es beispielsweise den Park rund um den Rodelberg, in dem Joußen sich einen Vitaparcours vorstellen kann, "damit ältere und gehbehinderte Menschen die Chance haben, in ihrem direkten Umfeld etwas für ihr gesundheitliches Wohlbefinden zu tun".
Joußen stellt sich eine Art Trimm-Dich-Pfad vor, auf dem sich Senioren fit halten können. "Das ist wirklich schön hier", ist aus der Gruppe zu hören, als sie den Rodelberg und den Wasserspielplatz passiert.
Auch die Stadtverwaltung weiß bereits von den Plänen und hat durchgerechnet, was der Parcours mit seinen acht wetterbeständigen Fitnessgeräten kosten würde: 35000 Euro sind herausgekommen.
Mit von der Partie bei der Begehung ist auch Hans Hahn. Der 62 Jahre alte Frührentner hat Pläne für seniorengerechte Einrichtungen in West.
So möchte der früher selbstständige Malermeister eine Werkstatt errichten, in dem sich handwerklich geschickte Senioren künstlerisch verwirklichen und kleine Reparaturarbeiten vornehmen können.
Damals, als er noch seinen eigenen Betrieb hatte, war für derlei Projekte keine Zeit, "dann wurde ich berufsunfähig, wollte aber nicht den ganzen Tag auf dem Sofa verbringen", erzählt Hahn. Also ließ sich "unser Senioren-Teenager" (Joußen) für den Rat aufstellen, wurde gewählt und ist seitdem engagiert.
Kaum hat Hahn seine Pläne vorgestellt, gehen die acht Senioren zum Mittagessen ins katholische Gemeindezentrum. Die Stimmung ist gut, "alle haben etwas gelernt", heißt es. Joußen ist zufrieden. Ihr Auftrag ist erfüllt.