Ratingen: Go – jede Handlung hat Folgen

In der Grundschule Anne Frank lernen Viertklässler durch das asiatische Brettspiel, über die Konsequenz dessen nachzudenken, was sie tun.

Ratingen. Eigentlich müsste Viola Hark-Wendland jetzt unterrichten. Doch die Lehrerin sitzt in der letzten Reihe der vierten Klasse, lehnt sich zurück und folgt dem Geschehen an der Tafel. Dort steht Helmut Heidrich.

Der Unternehmensberater im Ruhestand ist zwar kein Pädagoge, mit seiner großen Statur, dem weißen Vollbart und der donnernden Stimme aber allemal eine Respektsperson. Er fragt die Schüler ab: "Wer sagt mir die Fangregel?" Die Finger schnellen nach oben. "Wer kann mir eine Mausefalle erklären?" Viele können es.

Ein uneingeweihter Beobachter würde sich wohl wundern, was hier gespielt wird. Dabei ist die Antwort ganz einfach und braucht bloß zwei Buchstaben: Go. Das asiatische Brettspiel ist erstmals Thema des Sachkunde- und Förderunterrichts im zweiten Halbjahr der vierten Klasse, eine Doppelstunde pro Woche. Und die Viertklässler der Anne-Frank-Schule haben schon viel gelernt.

"Wer kann mir ein Seki erklären?", fragt Heidrich und schaut in die Runde. Lina Uhlenbruch meldet sich. "Ich weiß es vielleicht..." "Beim Go gibt es kein vielleicht!", donnert Heidrich. Es geht eben nicht nur um die bloßen Regeln des Spiels. Es geht um mehr. "Go ist eine Schule fürs Leben", ist sich Heidrich sicher.

Dem Spiel wird nachgesagt, wie kein anderes Konzentration und Durchhaltevermögen zu fördern, es benötigt Intuition, Phantasie und ständig neue Entscheidungen. "Es ist ein schöpferisches Spiel", meint Heidrich.

Klassenlehrerin Hark-Wendland sieht da noch ganz andere Argumente für den Go-Unterricht. "Die Kinder erleben, dass jede Handlung Konsequenzen nach sich zieht, fangen an, über den zweiten oder dritten Schritt nachzudenken - das ist völlig neu für sie."

Hätte Schach da nicht den gleichen Zweck erfüllt? "Vielleicht", meint Hark-Wendland, "aber das kannten manche Kinder schon. Wir wollten allen die Chance geben, bei Null zu starten. Alle sollten gemeinsam etwas Neues erleben, bevor sie an die weiterführenden Schulen kommen."

Dass Helmut Heidrich ein Mann ist, war übrigens auch ein Faktor. "Die Kinder haben an der Grundschule praktisch nur Lehrerinnen. Dabei haben Männer eine ganz andere Art zu erklären. Herr Heidrich ist auch mal etwas raubeinig. Das ist gut so."

Derlei Theorien sind den Schülern natürlich egal. Sie wollen eigentlich nur spielen. Denn Go macht vor allem auch Spaß. Heute tritt Helmut Heidrich alleine gegen die ganze Klasse an. In Gruppen zu viert spielen die Schüler gegen ihn. Sie sollen ihre Spielzüge absprechen. Heidrich schreitet von Tisch zu Tisch. Mal setzt er nur, mal erklärt er auch.

Carina, Larissa, Florian und Burhan bilden ein Team und streiten gerade über den besten Zug. Acht Hände fuchteln über dem kleinen Holzbrett. "Hierhin!", meint Burhan. "Nein, hier verbinden!", übertönt ihn Florian. Carina sieht es nochmal anders und trifft schließlich die Entscheidung. Nur halblaut, so, dass der Go-Lehrer sie nicht hören kann, fragt sie: "Wer wettet, dass Herr Heidrich gewinnt?" Alle vier heben die Hand.