Neviges Stein für Ur-Großonkel gab Anstoß
Neviges. · Der Velberter übergab seine rund 100 Seiten umfassende Arbeit jetzt Stadtarchivar Christoph Schotten. Tobias Glittenberg hatte die Verlegung des bislang letzten Stolpersteins in Velbert am 24. Mai 2019 vor einem Wohnhaus auf der Neustraße in Tönisheide initiiert.
Die im Gehweg eingelassene Messingplatte erinnert an seinen Ur-Großonkel Carl Kipper.
Bei Recherchen zur Familiengeschichte war der 39-Jährige auf das Schicksal Kippers gestoßen: Am 12. Juli 1902 in Wülfrath geboren, lebte Carl Kipper mit Eltern und Geschwistern seit 1917 an der Neustraße. Durch eine massive Mittelohrentzündung schwerhörig geworden, diagnostizierte ein Psychiater „angeborenen Schwachsinn“ bei dem jungen Tönisheider, der im Oktober 1932 in die Heilanstalt Düsseldorf-Grafenberg eingewiesen und dann nach Bedburg-Hau verlegt wurde. Nachdem die Nationalsozialisten an die Macht kamen, wurde die Diagnose zum Todesurteil: Gemeinsam mit 323 Männern und zwölf Frauen wurde Kipper Anfang März 1940 nach Brandenburg gebracht, wo er am 9. März vergast wurde – eines von insgesamt 70 000 Opfern der „Aktion T 4“ im Rahmen des Euthanasie-Programms der Nationalsozialisten.
Die Idee, seines Ur-Großonkels mit einem Stolperstein des Künstlers Gunter Demnig zu gedenken, erwies sich indessen als zeitaufwendiges Unterfangen: „Herr Glittenberg ist von Pontius nach Pilatus gelaufen“, erinnert sich Stadtarchivar Schotten, der den Velberter mit seinem Team bei der Recherche unterstützt hatte, an das aufwendige Prozedere zur Vorbereitung der Verlegung. So umfasst die Dokumentation Glittenbergs auch einen ausführlichen Leitfaden für neue Stolpersteine: „Eine große Hilfe für künftige Interessenten“, betont Schotten. Die Übersicht über die bisher verlegten Gedenksteine basierte auf einer vorhandenen Teilaufstellung und den Angaben des evangelischen Kirchenkreises Niederberg, der Wegbereiter und Initiator der ersten Gedenksteine war und weiterhin Ansprechpartner für die Absprachen mit Demnigs Kunstaktion Stolpersteine ist: „Insgesamt sind es heute 41 Steine“, erläutert Glittenberg – 27 in Velbert-Mitte, acht in Neviges und sechs in Langenberg. 24 wurden allein im Februar und Dezember 2008 verlegt, weitere 14 folgten im Juni 2014. Im Wallfahrtsort erinnern vier Steine in der Fußgängerzone Elberfelder Straße an die Mitglieder Familie Meyer, ein Stein an der Bernsaustraße an Helene Heumann und zwei Zum Hasenkampsplatz an das Ehepaar Leib – jüdische Mitbürger, die alle in Konzentrationslagern ermordet wurden.
Alle 41 Stolpersteine aufgesucht, geputzt und fotografiert
Der Stolperstein für Carl Kipper ist der erste, der in Tönisheide verlegt wurde und der zweite in Velbert, mit dem eines Euthanasie-Opfers gedacht wird. Glittenberg hat sämtliche 41 Steine aufgesucht, geputzt und fotografiert. Dabei erhielt er Unterstützung von Freunden: „Wir haben von Tobias viel über seine Forschungen zu Carl Kipper erfahren“, berichtet Christina Wißgott. Die 39-Jährige und ihre Familie hatten auch an der Verlegung des Stolpersteins an der Neustraße teilgenommen. So beteiligte sich die Tönisheiderin nun mit Mann und den beiden Kindern (sechs und acht Jahre alt) an der Reinigung der Steine in Neviges. Passanten jeden Alters hätten sie angesprochen: Es habe viele Fragen und bestärkende Worte gegeben, aber auch unschöne Bemerkungen über die „Judensteine“. Wißgott ist wichtig, dass die Kinder nun wissen, was die Stolpersteine bedeuten: „Die Große kann inzwischen lesen, sie fragt viel nach.“
Für Christoph Schotten ist die Dokumentation eine große Bereicherung für die Stadt und für alle, die sich mit den Stolpersteinen beschäftigen: „Eine rundum gelungene Sache“, bedankte sich der Leiter des Stadtarchivs bei Glittenberg. Mit der Zusammenstellung ist die Dokumentation aber keineswegs abgeschlossen: „Über viele der Opfer gibt es nur wenig Informationen. Mit Schülern der Gesamtschule in Velbert-Mitte sollen nun Biographien der Betroffenen recherchiert und erarbeitet werden“, so Glittenberg. Allgemein keine leichte Aufgabe: „Die Zeitzeugen werden weniger, es wird nicht einfacher, noch etwas in Erfahrung zu bringen. Die Forschung hätte Jahrzehnte früher einsetzen müssen“, so Schotten.