Wenn die Flucht Geschichten schreibt
Sieben Migranten erzählen in ihrer Rolle als „lebendige Bücher“ aus ihrem Leben. Die Leihdauer: 20 Minuten.
Velbert. Ein gutes Buch ergreift den Leser und hinterlässt einen bleibenden Eindruck. Ähnlich ist es auch bei den „lebendigen Büchern“, die sich die Besucher demnächst in der Zentralbücherei „ausleihen“ können. Das Besondere: Es öffnet sich dem Leser kein Druckwerk, sondern ein Mensch aus Fleisch und Blut. Bei der dritten Ausgabe der „Lebenden Bücher“ berichten sieben Velberter mit Migrationshintergrund, davon drei Flüchtlinge, in Einzelgesprächen über ihr Leben. Die Büchereibesucher können jeden einzelnen für 20 Minuten „leihen“ und sich austauschen.
Da ist zum Beispiel Ahmad Walid Torakai, ein Arzt aus Afghanistan. Er flüchtete vor drei Jahren mit seiner Frau und zwei Töchtern nach Deutschland. Sein Ziel ist es, hier endlich wieder praktizieren zu können. „Ich möchte den Deutschen zeigen, dass alle Flüchtlinge verschieden sind, dass es auch Ärzte gibt“, sagt der 35-Jährige. Gleichzeitig will er andere Migranten zum Deutschlernen motivieren. Er selbst hat es in zehn Monaten bis zur C1-Stufe geschafft, also zu einem geprüften weit fortgeschrittenen Sprachniveau.
Dass er bei der Aktion mitmacht, obwohl er im Frühling seine Prüfung vor der deutschen Ärztekammer ablegt, hängt auch damit zusammen, dass Torakai der Austausch mit anderen Menschen sehr wichtig ist, um weitere Sprecherfahrung zu sammeln. Er berichtet etwas enttäuscht: „Ich habe nicht viel Kontakt mit Deutschen, außer mit Nachbarn und im Kindergarten.“
Velberts Integrationsbeauftragte Helena Latz, die bei der Kontaktfindung mit den lebendigen Büchern half, sieht einen ganz besonderen Wert in der direkten Begegnung von Mensch zu Mensch. „Gerade im persönlichen Kontakt werden viele stereotype Ansichten aufgelockert“, sagt sie. „Man spricht dann nicht mehr über den Menschen, der eine Flucht hinter sich hat, sondern mit ihm.“
Das Konzept, das beim Roskilde-Festival in Dänemark erfunden wurde, funktioniert durch den geschützten Rahmen der Bibliothek und das Leih-Prinzip. Bücherei-Leiterin Ulrike Motte erläutert: „Ein Buch hat ja auch gewisse Ausleihkonditionen. Wie lange darf ich es ausleihen? Wie muss ich es behandeln?“ So laufe es auch am Aktionstag. Die Bücherei-Mitarbeiter achten darauf, dass die lebenden Bücher nach 20 Minuten eine Auszeit bekommen. Und nur mit der Einwilligung der Erzähler dürfen die Besucher das Gespräch auch zu dritt oder viert führen.
Ulrike Motte hofft, das viele Menschen, auch gerne jüngere, die Möglichkeit zum Austausch nutzen. Sie weiß: „Natürlich muss man sich aufraffen. Es ist etwas anderes, als im Publikum zu sitzen und etwas auf sich wirken zu lassen.“ Doch der Effekt kann auch ein anderer sein. Helena Latz glaubt: „Ich denke, die Schicksale können ein Stück weit die Seele berühren.“
Die Aktion, die in Velbert jetzt ein drittes Mal aufgelegt wird, läuft am Samstag, 21. November zwischen 10 und 14 Uhr. Interessierte werden darum gebeten, ihr Buch vorab zu reservieren unter: Telefon 02051/26 22 81. Spontane Gespräche sind jedoch auch möglich. Der Eintritt ist frei. Die Bibliothek lockert die Atmosphäre mit heißen Waffeln auf.