Zwei Kriege warfen Schatten auf die Seele

Der Maler Eduard Dollerschell, der vor 70 Jahren starb, verbrachte die letzten Jahre seines Schaffens in seinem Wülfrather Atelier. Doch die Grausamkeit des Krieges hinterließ Spuren bei dem Künstler.

Foto: Archiv Willi Münch

Wülfrath. Zuweilen gibt es im Leben ein Davor und ein Danach. Zwischen beidem liegt etwas, das das Seelenleben nachhaltig verändert. Man ist nicht mehr der Mensch, der man vor diesem Ereignis war — und man wird nie wieder dieser Mensch werden. Es gibt kein Zurück mehr, keine Möglichkeit der Umkehr. Einzig die Gründe für den Wandel sind es, an die sich der Betroffene noch erinnern kann. Der Rest ist weg.

Schaut man auf das Leben des Eduard Dollerschell, so meint man, einem solchen Schicksal gegenüberzutreten. Hier der lebensfrohe und kreative Künstler, umgeben von Freigeistern. Und dort ein Maler, der in und mit seinen Bildern versucht zu vergessen. Dazwischen ein Krieg, der Spuren hinterlassen hat. „Es kam oft vor, dass Eduard im Garten saß und Blumen malte. Sie vermittelten ihm Trost und die Hoffnung, dass diese Welt noch anderes zu bieten hat als Krieg und Not“, erinnerte sich die Witwe Mia Dollerschell an die Nachkriegszeit, in der sich ihr Mann zurückzog aus einer Welt, deren erlebte Grausamkeit auf ihm lastete.

Aber es gab eben auch das Davor. Da waren die Reisen, die unbeschwerte Zeit in Paris und immer wieder auch das Zusammensein mit Künstlerfreunden. Dabei waren die Jugendjahre für Dollerschell keineswegs leicht. Als der Vater schwer erkrankte, pflegte der Maler ihn bis zum Tode. Lithografie-Lehre, Besuch der Kunstgewerbeschule und ein von Wuppertaler Mäzenen ermöglichtes Studium an der Münchener Kunstakademie: Für Dollerschell schien der Weg vorgezeichnet. Am Ende dieser Zeit stand eine Ausstellung in Wien.

Mia Dollerschell, Witwe des Malers

Es ging weiter nach Paris, wo er schon bald mit seinem Akt „Junge Pariserin“ großes Aufsehen erregte. Man fand seinen Namen im Pariser Künstlerverzeichnis, während die „Junge Pariserin“ ihren Weg nach Deutschland fand — ins Haus des Darmstädter Verlegers und Kunstsammlers Alexander Koch.

Derweilen hatte Dollerschell die Kaltnadelradierung für sich entdeckt. Und wieder gab es jemanden, der die Geschicke des Künstlers behutsam lenkte. Diesmal war es der expressionistische Bildhauer Wilhelm Lehmbruck, dem sich Dollerschell angeschlossen hatte. In dieser Zeit jedoch brach er zum ersten Mal ein — der Schatten, der sich schwer auf die Schultern eines Menschen legen kann. „Und dann ist plötzlich der Krieg da. In Marseilles — der schönsten Stadt Europas, gerade als man, die Bruyére im Mundwinkel, eine neue Leinwand auf den Keilrahmen schlug, um eine pikante Ecke aus der Kannebiére mit ranken Mädchen und südlicher Eleganz zu malen. In Hemd und Hose stürzt der Maler noch im letzten Augenblick aufs rettende Schiff“, fand ehemals der Kunstkritiker Ludwig Lindner starke Worte für diese Zeit im Leben Dollerschells.

Der Künstler selbst kehrte in seine Heimatstadt Wuppertal zurück, wo seine Mutter auf dem Sterbebett lag. Er fand noch die Kraft, sie zu malen — womöglich war es jedoch auch das Malen selbst, aus dem er Kraft schöpfen konnte.

Nach den Kriegswirren war es sein Wuppertaler Atelier, das zum Mittelpunkt der Kreativität würde. Musiker, Schriftsteller und Maler gingen ein und aus. Von einem erneuten Aufenthalt in Paris brachte er Ölbilder, Aquarelle und Radierungen mit. Doch das Geld, das er mittlerweile verdiente, mache ihn nicht glücklich — ließ er seine Wegbegleiter wissen. Als man seine Werke 1933 zur „Entarteten Kunst“ erklärte, musste er seine damals im Wuppertaler Von-der-Heydt ausgestellten Bilder verbergen. Als 1943 sein Atelier mitsamt den Kunstwerken zerbombt wurde, zog er nach Wülfrath. „Aber der Mann, der einst wie ein Besessener gesucht, gerungen und gearbeitet hatte, war er nun nicht mehr“, schreibt Willi Münch (85) in seinen biografischen Erinnerungen über Dollerschell. Der pensionierte Kulturamts- und Museumsleiter erinnert sich gut an seine erste Begegnung mit dem Maler. Draußen sei es gewesen, am Kirchplatz. Dort hatte Münch als damals Zwölfjähriger Block und Pinsel ausgepackt, um die Kirche zu zeichnen. Ob er ihn korrigieren dürfe, habe Dollerschell ihn gefragt. Fortan wurden sie zu Schüler und Lehrer — nach seinem Tod pflegte Münch lange ein freundschaftliches Verhältnis zur Witwe Mia Dollerschell. Der Künstler starb, bevor er sein letztes großes Werk „Moses empfängt die Gesetzestafeln aus der Hand des Schöpfers“ vollenden konnte.