Kempen/Tönisvorst Alimadad-Abschiebung schlägt weiter Wellen

Der Kreis Viersen begründet die Rückführung des 20-jährigen Afghanen unter anderem mit zwei rechtskräftigen Strafbefehlen. Es gibt sogar ein weiteres Urteil, das aber keinen Einfluss auf das Abschiebeverfahren hatte.

Foto: Kurt Lübke

Kempen/Tönisvorst. Die Abschiebung des 20-jährigen Alimadad N. nach Afghanistan schlägt im Kreis Viersen weiterhin hohe Wellen. Kurz nach der Abschiebung des Kempener Berufsschülers am 12. Dezember 2016 hatte die Kreistagsfraktion der Grünen Landrat Andreas Coenen (CDU) dazu aufgefordert, den Ablauf des Verfahrens darzustellen. Dies tat Coenen per Brief an die Fraktion. Die Rechtmäßigkeit der Abschiebung basiert nach Ansicht der Ausländerbehörde des Kreises Viersen unter anderem auf zwei rechtskräftigen Strafbefehlen gegen den jungen Mann, der zuletzt in Tönisvorst gelebt hat (die WZ berichtete). Vor allem für die Menschen, die sich für den Verbleib des Flüchtlings eingesetzt haben, gibt es aber immer noch viele offene Fragen.

Foto: Kurt Lübke

Zum Beispiel die nach der Art der Taten, für die Alimadad N. verurteilt worden ist. Bei der Recherche stieß die WZ auf eine Verurteilung wegen Raubes. Tim Buschfort, Direktor des Kempener Amtsgerichtes, bestätigte gestern der WZ, dass der 20-Jährige am 31. August 2016 zu einem „zweiwöchigen Dauerarrest“ verurteilt worden war. Alimadad N. habe gemeinsam mit einem anderen Mann einen Handyraub begangen.

Gegen dieses Urteil legte der Anwalt von N. dann Berufung ein. Die Berufungsverhandlung fand am 19. Dezember 2016 vor dem Krefelder Landgericht statt. Allerdings in Abwesenheit von Alimadad N. — zu diesem Zeitpunkt saß er bereits in Abschiebehaft beziehungsweise befand sich schon auf dem Weg nach Afghanistan. „Wenn der Angeklagte in solchen Berufungsverfahren nicht auftaucht, wird das Urteil in der Regel bestätigt“, sagt Nils Radtke, Sprecher des Krefelder Landgerichts. So geschah es auch: Die Berufung wurde abgelehnt — das Urteil war am 19. Dezember rechtskräftig.

Analyse

Das Urteil wirft somit zunächst zwei Fragen auf. Zum einen, weil die Jugendstrafe von zwei Wochen Arrest keineswegs mit einer Erwachsenenstrafe von 50 Tagessätzen zu vergleichen ist. Mit diesem Wert hatte der Kreis Viersen begründet, warum die sogenannte Ausbildungsduldung des Afghanen nicht erteilt werden konnte. Diese hatten die Befürworter des Verbleibs gefordert, weil Alimadad N. die Kempener Berufsschule besucht und einen Orientierungskurs bei der Kreishandwerkerschaft absolviert hat. „Generell ist es so, dass eine Ausbildungsduldung bei einem Strafmaß von mehr als 50 Tagessätzen nicht erteilt werden kann“, erklärte bereits Kreispressesprecher Markus Wöhrl.

Die zweite Frage stellt sich mit Blick auf das Abschiebedatum 12. Dezember: Ist es rechtens, dass Alimadad N. schon vor dem Berufungstermin am 19. Dezember und damit vor der Rechtmäßigkeit des Urteils in ein sogenanntes Ausreisegewahrsam genommen worden ist?

„Ja“, hieß es gestern aus der Pressestelle des Kreises Viersen. Und zwar deshalb, weil die Verurteilung wegen Handyraubes gar keine Rolle bei der Abschiebung beziehungsweise Nicht-Erteilung der Duldung gespielt habe. „Dieser Fall ist uns gar nicht bekannt“, so Markus Wöhrl. „Die in den Abschiebungsunterlagen an die Zentrale Ausländerbehörde Köln angegebenen zwei rechtskräftigen Strafbefehle (hier wurden Tagessätze verhängt) stammen vom 12. November 2015 und 29. Juni 2016“, lautet die offizielle Stellungnahme des Kreises Viersen.

Somit gebe es neben dem Handyraub zwei weitere drei rechtskräftige Urteile gegen den 20-Jährigen. Zu den Hintergründen der Strafbefehle — also zu der Frage, was sich N. hat zu Schulden kommen lassen — konnte der Kreissprecher keine Angaben machen. Die Akten seien „behördlich weitergeleitet“ worden und befänden sich nicht mehr in der Hand des Kreises. Im Kempener Amtsgericht sind die beiden laut Kreis relevanten Straftaten nach Angaben Tim Buschfort nicht verhandelt worden. Im Krefelder Amts-und Landgericht laufen noch Anfragen der WZ.

Unterdessen ist der Fall Alimadad bei Michael Stoffels noch nicht zu den Akten gelegt. Der Kempener hatte sich im Namen des Flüchtlingsrats NRW für den jungen Afghanen stark gemacht. „Die Abschiebung Alimadads ist aus meiner Sicht und aus der Sicht derer, die ihn von Schule und Ausbildung her kennen und ihn da betreut haben, nicht zu rechtfertigen. Gegenteilige Mitteilungen der Kreisverwaltung ändern daran nichts“, so Stoffels.

Der Kempener hat eine Vollmacht von N. erhalten und somit jetzt Akteneinsicht. Stoffels hält also weiterhin Kontakt zu Alimadad, der sich derzeit gemeinsam mit vier anderen Abgeschobenen in einer Unterkunft in Kabul befinden soll. Laut Stoffels hat N. keine Verwandten in seiner Heimat. „Er hat keine Ahnung, so seine Eltern sind“, sagt Michael Stoffels.

Gegen Vorwürfe, dass er und andere Mitstreiter die Straffälligkeit des Afghanen bewusst in den vergangenen Wochen verschwiegen hätten, weist Stoffels von sich. Er wird auch weiterhin Verbindung zu Alimadad halten, um ihm möglicherweise vor Ort über Verbindungsmänner zu helfen. Eine Rückkehr nach Deutschland hält Michael Stoffels inzwischen für unwahrscheinlich. Ein Fall eines Menschen, der nach einer Abschiebung noch einmal nach Deutschland gekommen ist, sei dem Experten nicht bekannt.