Schlossfestspiele Neersen: Begeisterung für „Monsieur Claude und seine Töchter“ Allerbeste Laune trotzt dem Regen
Neersen · Das Premieren-Publikum von „Monsieur Claude“ zollt Ensemble- und Regie-Leistung höchsten Respekt.
Um es in aller Schonungslosigkeit zu sagen: Wer eigentlich vorhatte, sich „Monsieur Claude und seine Töchter“ auf der Bühne vor dem Neersener Schloss anzusehen, dann aber mit einer „laisser-faire, laiser-aller“-Haltung die Chance vertan hat, sich eine Karte zu sichern, der hat, mit Verlaub, alles falsch gemacht. Er verpasst ein Stück der Spielzeit, das mit dem Prädikat „sehenswert“ nicht ausreichend gewürdigt würde.
In Neersen passt im dritten selbstinszenierten Stück vieles zusammen: das Ensemble zum Theaterstück, die Geschichte zur Gesellschaft, die Botschaft ins Zeitgeschehen. Den Schauspielern sind die Rollen wie auf den Leib geschrieben. In der Besetzungsliste fremdelt niemand mit seinem Alter Ego, dem anderen Ich.
Stimmen aufdrehen,
um Regen zu übertönen
Um wie viel besser wäre die Premieren-Stimmung wohl noch ausgefallen, wenn der Dauerregen das Publikum nicht in Plastikcapes geschnürt hätte und es sich eher dazu entschied, die textilen Schotten dicht zu halten, als dem jeweiligen Szenenapplaus seine verdiente Länge zu geben.
Und so mussten die tapferen Schauspieler durchziehen, die stimmliche Lautstärke aufdrehen, über Raschelphasen und Regenpausen hinweg den eigenen Spannungsbogen halten und wetterfest bis zur letzten Hochzeit spielen, ehe sie mit dem Schlussapplaus herzlichst überschüttet wurden. Es wurde Bravo gerufen und stehend applaudiert.
Da waren zwar nicht mehr alle Premierengäste auf der Tribüne. Doch dass sie ihren Theaterabend früher für beendet erklärt hatten, dürfte an fehlender Funktions-Kleidung gelegen haben. Mit einer Abstrafung der Inszenierung hatte ihr Abgang nichts zu tun.
Matthias Freihof beschert Neersen Theater mit Tiefgang. Der Regisseur platziert das Publikum mit drei getanzten Hochzeitsszenen aus dem Stand mitten hinein in das Malheur der Verneuils. Während Töchter und Schwiegersöhne verliebt tanzen, spiegelt sich die elterliche Fassungslosigkeit wortlos in den Gesichtern von Claude und Marie wider. Kay Szacknys und Reinhild Köhncke spielen die emotionale Achterbahnfahrt zwischen der Liebe zu den Töchtern und dem ausgeprägten Fremdeln mit den „unfranzösischen“ Schwiegersöhnen hervorragend.
Französischer Kino-Bestseller macht sich gut im Theater
Neersen, die Familie Verneuil als Mikrokosmos. Dort prallen Vorurteils-getränkte Ressentiments der Welt aufeinander. Unversöhnlichkeit in der Sprache provoziert Ablehnung. Das Fremdeln durchschüttelt die eigene geliebte Wertewelt. Diese Verunsicherung wird zum Nährboden für rassistische Anmaßungen.
Wie gut sich der französische Kino-Bestseller doch ins Theater bringen lässt. Den Vergleich hat die Bühnenfassung aber nicht nötig. Sie ist in ihren Botschaften sogar dichter, fokussierter, frecher als der Film. Vorurteile werden in engerer Taktung herausgeschleudert, Rivalitäten schonungsloser ausgetragen. Ignoranz, Arroganz, Feindseligkeit – am Frühstückstisch entladen sie sich in Beleidigungen.
„Wir sind verwandt, verwandt. Unsre Köpfe stehen in Brand. Wir sind verwandt, verwandt. Mit dem Messer in der Hand.“ Liedtexte wie dieser von Annett Louisan verlinken die Szenen und Ortswechsel während der zahlreichen Umbauarbeiten. Christian Baumgärtels Bühnen-Reduzierung auf das Maximal-Abstrakte geht prächtig auf. Er gibt dem französischen Schick der abgestimmten Kostüme von Nuschin Rabet um so mehr Strahlkraft.
Die kulturellen und religiösen Unterschiede übersteigen die integrativen Kräfte der Verneuils: „Das Leben ist so kompliziert.“ Man nimmt es ihnen ab.
Und dann drehen die Szenen auf, in denen Gemeinsamkeiten so nahe liegen, erkannt werden und Ressentiments in der Verbrüderung gegen wieder neues Fremde ad absurdum geführt werden. Allmählich ringt das Menschliche Opposition und Opportunismus nieder. Sich begegnen, sich vertraut machen, sich respektieren, das ist – wie der durchgängige Humor – der Schlüssel zum Miteinander.
Das gesamte Ensemble agiert stark. Trotz Regenerschwernis gelingt ihm meist der pointierte, Nuancen-reiche Dialog. Hervorgehoben sei neben den Hauptdarstellern Kay Szacknys und Reinhild Köhncke der eindrucksvolle Félix Kama als André Koffi, der Claude auf Augenhöhe Kontra bietet. Sven Post überzeugt in fünf Rollen, vor allem als Wunsch-Schwiegersohn-Kandidat Xavier und Psychologe.
Wenn man könnte, würde man sich gleich eine Wiederholung bei ruhigem Wetter wünschen, vor allem, um auch feinere, sachtere Tonlagen der Schauspieler im Stück wahrnehmen zu können. Doch keine Chance. Alle „Monsieur Claude“-Vorstellungen waren schon vor der Premiere ausverkauft. Die, die Karten haben, dürfen sich glücklich schätzen.