Lesung in Grefrath H.P. Daniels liest aus „Runaway“

Grefrath. · Der 67-Jährige Autor war Gast in der Grefrather Buchhandlung.

H.P. Daniels spielte in der Buchhandlung Karl Groß auch Gitarre.

Foto: Wolfgang Kaiser (woka)

Er war Sänger und Journalist, und er musste 67 Jahre alt werden, bis er Anfang des Jahres seinen ersten Roman veröffentlichte: H.P. Daniels las in der Grefrather Buchhandlung aus „Runaway“. Rund 70 Zuhörerinnen und Zuhörer wollten sich das nicht entgehen lassen.

Der Autor, der eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Schauspieler und Sänger Volker Lechtenbrink hat, fing mit einer kurzen Schilderung seiner Anreise von Berlin mit Bahn und Bus sowie mit einer „Zugabe“ an: Er griff zur Gitarre – und da war sie wieder, die Kraft der 1960er- und 1970er-Jahre, eine Kraft, die Rebellion und Aufbruch verhieß.

Darum geht es auch in „Runaway“. Die beiden Protagonisten heißen Petty und Riemschneider, zwei 16-jährige Jungen, die von München nach Hamburg fliehen. Ihre traurige Gemeinsamkeit: die autoritären Väter, die Gespräche zu Verhören werden lassen, die zu Gewalt neigen und zu Häme sowieso. Was im Verlauf der Lesung angenehm auffiel: Der Autor liebt durchaus die leiseren Töne, er schaut genau hin, wird zum Zeugen einer für junge Menschen schwer verständlichen Zeit. Und weil das so ist, ist „Runaway“ nicht nur Pflichtlektüre für alle, die in den 1950er-Jahren geboren wurden, sondern auch für die Jüngeren – diejenigen, die sich kaum vorstellen können, wie ein Wählscheibentelefon aussieht, und wie autoritär und düster die Atmosphäre in den Wohnstuben der Republik einst war.

Auf den ersten Joint folgt
die erste Schallplatte

Der Leser erlebt, wie die beiden jungen Männer ihre Persönlichkeit unter schwierigen Bedingungen langsam aber sicher entfalten. Petty will Musiker und Schriftsteller werden, was später zu der Frage führte, ob der Roman autobiografisch angelegt sei. H.P. Daniels verneinte. Riemschneider zeichnet wie ein Besessener, der Zuhörer ahnt, dass eine kreative Ader in der Enge des autoritären Elternhauses keinerlei Chance auf Entfaltung gehabt hätte. Die Zeit beim Sozialistischen Deutschen Studentenbund in einem Hamburger Keller idealisiert der Autor nicht: Pennen und protestieren in unwirtlichem Ambiente, endlose Diskussionen, Gammler mit zotteligen, stark riechenden Afghanen-Mänteln – das klingt ernüchternd und ist doch die Chance für die beiden Protagonisten, sich zu Individuen zu entwickeln.Sie lernen die „Schmuddelkinder“ von Franz-Josef Degenhardt lieben, Jack Kerouacs „On the Road“, und trafen Winnie, den Sohn eines durchgeknallten Vaters und einer liberalen Mutter. Auf den ersten Joint folgte die erste Schallplatte.

„Ein Regisseur hat mir einmal vorgeworfen, ich läse wie eine Märchentante“, verriet H.P. Daniels, nachdem eine Zuhörerin ihm gesagt hatte, wie angenehm es sei, seinen Worten zu lauschen. Und er gestand: „Ich bin als Jugendlicher auch mal abgehauen.“ Menschen und Situationen, die ihm bekannt sind, habe er mit Fiktivem ergänzt, habe im Kopf Gespeichertes, wo es passte, eingefügt – so beschrieb der Autor seine Vorgehensweise. Zum Schluss gab es noch ein richtig dickes Lob von Buchhändler Karl Groß: „Das Buch hat einen richtig tollen Sound.“ barni