Kempen: Die schönste Stadt — auch von oben
Erstmals gab es nun eine offizielle Burgturmführung der Stadt. Vom Westturm genossen die Besucher den Ausblick auf Kempen.
Kempen. Die erste offizielle Burgturmführung am Samstag ist auf große Resonanz gestoßen. Rund zwei Dutzend Interessierte, darunter einige Kinder, genossen die grandiose Aussicht vom 28,50 Meter hohen Westturm. Der Aufstieg war ein wenig beschwerlich. Die Stufen sind in die 2,25 Meter dicken Mauern eingelassen worden. So beklemmend der Aufstieg in dem extrem engen „Treppenhaus“ auch gewesen sein mag, die Aussicht von dem Turm, der einen Durchmesser von 8,50 Metern hat, sollte Entschädigung genug gewesen sein.
Stadtführerin Carmen Rosin erklärte, was wo zu sehen ist. Egal, ob Süchtelner Höhen, Hinsbeck oder Tönisberg, alle diese Orte und Ortsteile schienen den Teilnehmern der Führung zu Füßen zu liegen. In weiter Ferne war bei gutem Novemberwetter sogar der frühere Schiefbahner Fernmeldeturm erkennbar und knapp 20 Kilometer weiter die Braunkohlekraftwerke in Frimmersdorf.
Aber man ließ den Blick nicht nur in die Ferne schweifen: Von oben wurde deutlich, dass Kempen eine Stadt mit sehr viel Grün ist. Und dass der Turm des Thomaeums noch ein bisschen höher ist als der Westturm der Burg. „Er ist der höchste Turm von Kempen“, erklärte Carmen Rosin. Was genau genommen nicht richtig ist: Wie Denkmalamtsleiter Karl-Josef Schaaff vor einigen Monaten gegenüber der WZ sagte, ist der Turm der Propsteikirche mit 59 Metern das höchste Denkmal Kempens, gefolgt vom Tönisberger Zechenturm mit 52 Metern. Zurück zur Burg: Diese ist laut Rosin „mitten auf der Kempener Platte errichtet worden zur Verteidigung des Umfeldes“.
Der Rückzug der Besucher vom Westturm erfolgte am Samstag recht kurzfristig. Der Grund: Es fing an zu regnen. In der Burg erfuhren die Teilnehmer der Führung dann noch sehr viel Wissenswertes. Zum Beispiel, dass Kempen deutlich älter ist als alle umliegenden Orte — mit Ausnahme von Oedt.
Die jungen Besucher mögen ein wenig enttäuscht gewesen sein, als sie erfuhren, dass die Burg Kempen keine Ritterburg war, sondern dazu diente, die Interessen des Kölner Kurfürsten durchzusetzen.
Carmen Rosin erklärte, dass die Fundamente der Burg bereits 1316 errichtet wurden, vollendet war das Bauwerk aber erst um 1400. „Es war eine Verteidigungsburg ohne Fenster, aber mit Schießscharten“, erklärte Rosin. 1634 war beschlossen worden, dass so ein Kriegsschloss eigentlich nicht mehr erforderlich sei. Das Gebäude wurde aufgestockt und mit Fenstern versehen. Doch man hatte die Rechnung ohne die Hessischen Verbündeten gemacht, die die Burg 1642, also im Dreißigjährigen Krieg, einnahmen. Als sie nach siebeneinhalb Jahren abzogen, war das monumentale Gemäuer erneut sanierungsbedürftig. In der 20 Jahre währenden Franzosenzeit hatte ein Krefelder Seidenfabrikant das Gebäude gekauft. Ein Großfeuer vernichtete einen Flügel der Burg, der nie wieder aufgebaut werden sollte.
Die einstündige Führung hatte im Franziskanerkloster begonnen, genauer gesagt am Modell der Innenstadt von Kempen. „Kempen sollte die Hauptstadt der Mark Kempen werden mit Orten wie Krefeld, Willich und Tönisvorst“, erklärte Carmen Rosin. Ihr seien bereits 1294 die Stadtrechte verliehen worden — rund 100 Jahre eher als Krefeld. Bürger, die in einer Stadt lebten, hätten mehr Rechte gehabt als Bewohner von Dörfern. Die Belagerung während des Dreißigjährigen Krieges hatte die Stadt ihrer Infrastruktur beraubt. „Die Schuld habe man allen gegeben, die nicht katholisch sind“, erfuhren die Teilnehmer der Führung. Die Konsequenz: Leistungsträger wie die Mennoniten, die in Kempen keine Chance hatten, ließen sich in Krefeld nieder und trugen zum wirtschaftlichen Erfolg bei.