Konzert in der „Haltestelle“ in Kempen Ein Löwe unter den Jazz-Komponisten
Kempen · Ein Jazz-Abend in der „Haltestelle“ in Kempen erinnerte an Willie „The Lion“ Smith. Bernd Lhotzky und Oliver Mewes garnierten die musikalischen Kostproben aus Smiths Schaffen mit prägnanten Auszügen aus seinen autobiografischen Erinnerungen.
(tg) Es muss schon einen Grund haben, wenn sich jemand den Spitznamen „Der Löwe“ erwirbt. William Henry Joseph Bonaparte Bertholoff Smith, Jahrgang 1893, genannt „The Lion“, muss jedenfalls eine Erscheinung gewesen sein in der Harlemer Jazz-Szene der 20er und 30er Jahre: Der Pianist trug bei seinen Darbietungen stets eine Melone auf dem Kopf und hatte eine dicke Zigarre im Mundwinkel, was ihn nicht davon abhielt, zugleich großartige Musik zu machen.
Davon durfte sich das Publikum überzeugen, dass am Donnerstag dem schlechten Wetter getrotzt und sich in der „Haltestelle“ eingefunden hatte, um dem Auftritt von Bernd Lhotzky (Flügel) und Oliver Mewes (Schlagzeug) zu lauschen, die die musikalischen Kostproben aus Smiths Schaffen mit prägnanten Auszügen aus seinen autobiografischen Erinnerungen garnierten.
In die Geschichte des Jazz ist Smith in erster Linie als Pionier des Harlem Stride Piano eingegangen – einer freien Weiterentwicklung des Ragtime, die durch große Virtuosität, improvisatorische Meisterschaft und harmonische Dichte gekennzeichnet ist und die er gemeinsam mit anderen Größen wie James P. Johnson perfektionierte. Seine Stücke sind alles andere als einfache Unterhaltungsmusik und stellen an die Interpreten höchste technische und musikalische Herausforderungen, denen sich Lhotzky und Mewes – beides exzellente Vertreter ihres Fachs und bereits des Öfteren zu Gast in Kempen – allemal gewachsen zeigten.
Faszinierend, welch unterschiedliche Stimmungsbilder da heraufbeschworen wurden: vom heiter-verspielten „Here Comes the Band“ über das balladenhafte Stück „Passionette“ bis hin zum verträumten „Morning Air“, das Ganze ergänzt um Werke aus Smiths Umfeld wie Duke Ellingtons „The Mooche“ sowie eine Eigenkomposition Lhotzkys im Stil des Stride Piano. Neben den im Vordergrund stehenden pianistischen Kabinettstückchen begeisterten auch die Drums mit zahlreichen Soloeinlagen.
Für gute Unterhaltung sorgte nicht zuletzt Smiths Selbststilisierung in seinen Memoiren, aus denen Lhotzky zwischen den Stücken genüsslich Auszüge vortrug. Ob es um die Herkunft seines Spitznamens (laut Smith eine Reverenz an seine Tapferkeit als amerikanischer Soldat im Ersten Weltkrieg), die Kriegserlebnisse in Frankreich (die Feldflaschen waren stets mit Cognac gefüllt), die Gepflogenheiten der New Yorker Klubs (alle Kellner mussten singen und tanzen können) oder „Piano Battles“ mit anderen Jazz-Legenden bei sogenannten „Rent Parties“ ging: Smiths mit einer ordentlichen Position Selbstbewusstsein gewürzte Erzählungen vermitteln viel von dem Milieu, in dem seine Kunst gedeihen konnte. Mit einer jazzigen Version von „Over the Rainbow“ schloss das Konzert auf einer dezenten Note.