Interview zur Kommunalwahl Cedric Franzes: „Ich bin jünger, aber nicht dümmer“

Kempen · Der 28-jährige Cedric Franzes (FDP) will Bürgermeister von Kempen werden – nun stand er in der WZ-Redaktion Rede und Antwort.

Cedric Franzes stand in der WZ-Redaktion an der Moosgasse Rede und Antwort.

Foto: Lübke, Kurt (kul)

Viele sprechen in Kempen von einem Duell um den Bürgermeisterposten zwischen Philipp Kraft (CDU) und Christoph Dellmans (parteilos, aufgestellt von SPD und Grünen). Aber es gibt noch zwei weitere Kandidaten auf dem Wahlzettel. Einer von ihnen ist Cedric Franzes (FDP). Er stellte sich nun den Fragen der WZ.

Herr Franzes, Sie sind 28 Jahre alt. Es könnte in Kempen Menschen geben, die sagen, dass Sie zu jung sind für den Posten des Bürgermeisters. Warum spielt das Alter bei diesem Amt für Sie keine Rolle?

Cedric Franzes: Ich hatte neulich wieder in der Apotheke eine Diskussion darüber. Und ich sage dann immer, dass ich einem 70-Jährigen auch nicht sagen würde, dass er zu alt ist. Alter ist kein Qualitätsmerkmal. Ich bin 28, studierter Betriebswirt und Wirtschaftsinformatiker. Ich bin Manager und Prokurist in einer der größten Unternehmensberatungen Deutschlands. Ich bin zielstrebig und bei mir wird Eigenverantwortung ganz großgeschrieben. Und wenn ich was möchte, ziehe ich das durch. Ich bin zwar jünger, aber bei weitem nicht dümmer. Gerade eine neue Generation Kempen, für die ich ins Rennen gehe, muss anders auftreten und kommunizieren. Deshalb ist mein Alter im Zweifel sogar gut für das Programm der FDP. In vielen Gesprächen erfahre ich von Bürgern, dass ich schon eine Art Alternative bin. Jetzt müssen die Leute diesen Wandel wirklich wollen. Und dafür kämpfe ich.

Sie sprachen schon an, dass Sie in der Unternehmensberatung tätig sind. Da denken viele gleich an Kostensenkung. Müssen die Mitarbeiter im Rathaus den Rotstift eines Bürgermeisters Franzes fürchten?

Franzes: Worauf sie sich freuen können, ist eine neue Arbeitsweise. Das fängt bei der Mentalität an. Ich stehe nicht für eine klassische Verwaltung, die wir aktuell haben. Bei mir steht das Thema Serviceorientierung im Mittelpunkt. Altbewährtes muss überdacht werden. Wenn ich höre, dass ein Kandidat die Strukturen so gut kennt, dann frage ich mich, wieso er sie noch nicht verbessert hat. Wenn bei uns im Unternehmen ein Mitarbeiter eine Idee hat, wird sie gehört und auch umgesetzt, wenn sie gut ist. Darauf zu pochen, dass er nur als Bürgermeister etwas bewegen kann, halte ich schon für fragwürdig. Kosten senken hört sich immer so drastisch an. Wir haben beim Mitarbeiterbedarf in der Verwaltung eine gute Deckung. Wir müssen mal schauen, wie die Kollegen eingesetzt werden. Wir hopsen hier nur von Jahr zu Jahr. Ich halte die Stellenprofile für wichtig. Und mich interessiert, wie die Stellenprofile in 15 oder 20 Jahren aussehen. Beim Stichwort Digitalisierung müssen wir die bestehenden Mitarbeiter dazu befähigen, in dieser neuen Welt zurechtzukommen. Es ist ein Mindset, das sich ändern muss. Da Sie nach dem Kostensenken gefragt haben: Bei externen Machbarkeitsstudien könnten wir in Zukunft deutlich sparsamer sein. Schulleiter oder Amtsleiter haben so viel Fachwissen, das wir besser nutzen müssen.

Sie wollen also Erfahrungen aus der Unternehmensberatung in die Verwaltung übertragen?

Franzes: Ja, selbstverständlich. Ich bin Prozess- und IT-Berater. Und wenn ich dann in einer Studie lese, dass in der Verwaltung immer noch nicht flächendeckend Outlook-Kalender genutzt werden und immer noch alles über den Tisch des Bürgermeisters laufen muss, stelle ich die Fragen: Ist das eine moderne Führungskultur? Muss es so hierarchisch sein, wenn ich doch eigentlich Dezernenten und Amtsleiter habe, die eigenverantwortlich handeln können und sollen? Um die besten Ergebnisse erzielen zu können, müssen wir die Strukturen modernisieren.

Beim Thema Digitalisierung bekommt die Stadtverwaltung von Ihnen keine guten Noten. Aus Ihrer Sicht geht es da vor allem um Bürgerfreundlichkeit. Wie sehen Ihre Ideen aus?

Franzes: Ich möchte eine Zehn-Jahres-Strategie bei der Digitalisierung entwickeln. Ich möchte wissen, wo stehen wir 2030 mit der Verwaltung. Ich habe vor einem Jahr einen Antrag zum Thema Chatbot gestellt, damit Bürger sowohl telefonisch als auch per Chat mit der Stadt 24/7 in Verbindung treten können. Das ist bis heute nicht beraten worden. Dabei bietet das Land sogar die Möglichkeit, einen Standard-Bot zu nutzen. Und so ein Projekt hätte ja auch Strahlkraft. Dann wäre Kempen nicht nur die schönste Stadt am Niederrhein, sondern würde auch innovative Wege gehen. Für die Gesamtstrategie müssen wir uns auch mit den anderen Kommunen im Kreis Viersen darüber einig sein, wo wir 2030 stehen wollen. Man sollte als Bürger auf jeden Fall auf Knopfdruck erfahren können, wie weit ein Bauantrag ist oder wann der Personalausweis kommt. Außerdem ist mir wichtig, dass die Digitalisierung intern im Rathaus Einzug einhält. Mit den vorhandenen Systemen können die Mitarbeiter keine Bestleistung abliefern. Dabei geht es gar nicht um Rationalisierung, sondern darum, dass sich die Mitarbeiter auf das Wesentliche konzentrieren können.

Gibt es weitere Ansätze für neue Verwaltungsstrukturen?

Franzes: Wir brauchen einen Personalentwicklungsplan. Das beste Beispiel ist für mich Dezernent Torsten Schröder. Wir als FDP haben immer dafür plädiert, eigenen Leuten eine Perspektive zu geben. Bei rund 650 Mitarbeitern muss man doch im Blick haben, wohin man die Menschen entwickeln möchte. Dann muss es auch darum gehen, ob zum Beispiel Home-Office auch nach Corona möglich ist. Die Politik muss aber auch die Erwartungshaltung gegenüber der Verwaltung herunterschrauben. Ideologische Anträge, in denen es um Luftschlösser geht, müssen einfach nicht sein.

Eine Pflichtaufgabe ist das Thema Bildung. Sie betonen stets, dass Sie die „weltbeste Bildung“ für Kempen wollen. Das ist ein hoher Maßstab. Aber was steckt hinter Ihrem Slogan?

Franzes: Wir haben das so initiiert, weil ich es am eigenen Leib erfahren habe, was Bildung bewirken kann. Meine Mutter war alleinerziehend. Ich bin auf dem Tönisberger Wartsberg aufgewachsen. Ich hatte nach der Grundschule eine Hauptschulempfehlung, bin dann auf eine Gesamtschule gegangen. Und war dann der erste aus meiner alten Grundschulklasse, der fertig studiert hatte. Und jetzt bin ich da, wo ich bin. Deshalb ist Bildung für mich so eine Herzensangelegenheit. Pädagogische Konzepte kommen aus Düsseldorf. Also müssen wir in Kempen für die weltbesten Einrichtungen unter digitalen Gesichtspunkten sorgen. Und damit meine ich den neuen Schulcampus. Seit Jahren wird diskutiert und nichts passiert. Was wir brauchen, ist ein Big Bang. Und ein Neubau auf dem Ludwig-Jahn-Platz ist ja eigentlich nur der Start für diesen Big Bang. Wir müssen auch darüber reden, was alles noch gebraucht wird. Die Grundschulen und auch die Kitas zum Beispiel tauchen noch gar nicht in der Debatte auf. Mein größter Traum ist eigentlich, dass es in der Neuen Stadt die beste Kita gibt – aus pädagogischer Sicht und auch, was die Ausstattung angeht. Die Menschen mit den vermeintlich schlechtesten Chancen im Leben brauchen von uns die besten Startmöglichkeiten.

Sie sprachen über den Schulcampus und den Ludwig-Jahn-Platz. Darüber gibt es im Moment eine heiße Debatte. Wie ist da Ihr Standpunkt?

Franzes: Ich bin verwundert, dass mein Mitbewerber Christoph Dellmans für gute Bildung eintritt und es nicht schafft, im Wahlkampf seine Truppen hinter sich zu bringen. Selbst die Links-Fraktion möchte den Schulcampus da bauen und Teile der SPD auch. Wir brauchen also jetzt mal einen Schulkonsens. Es kann nicht sein, dass wir ideologische Grabenkämpfe zur Schullandschaft führen. Für mich gibt es kein einleuchtendes Argument, um den Campus nicht dorthin zu bauen. Romantisierte Ansichten aus der Jugend oder drohende Baumfällungen, welche überhaupt nicht beschlossen sind, – das hat für mich nichts mit sachgerechter Kommunalpolitik zu tun. Sollen wir denn jetzt noch warten, bis Kempen im Haushaltssicherungskonzept ist und die Ausgaben womöglich nicht genehmigt werden? Und was ist mit den Fußballern des SV Thomasstadt? Die würden sich über eine neue Lösung an der Berliner Allee freuen.

Detlev Schürmann als Vorsitzender der Vereinigten Turnerschaft aber nicht.

Franzes: Da will ich nur eins sagen: Ein Vorsitzender eines Vereins, der dazu aufruft, bestimmte politische Parteien zu wählen, das geht nicht. Man sollte mal in die Satzung dieses Vereins schauen. Da gibt es einen Absatz, dass der Verein parteipolitisch unabhängig ist. Das Vorgehen des VT-Vorsitzenden halte ich für arg tendenziös.

Wir stecken mitten im Thema Sport. Wie sehen Sie die Lage in St. Hubert? Ist da noch ein Kunstrasen vonnöten?

Franzes: Es steht fest, dass beide Fußballvereine eine Lösung brauchen. Dass es mit dem Planungsrecht für eine neue Anlage nicht funktioniert hat, ist so wie es ist. Vielleicht war da seitens der Stadtverwaltung auch zu wenig PS auf der Straße. Aber die aktuelle Situation mit rückläufigen Zahlen bei den Aktiven trägt schon dazu bei, dass in den Parteien die Frage aufkommt, ob ein neuer Platz überhaupt noch notwendig ist. Wenn es aber so sein sollte, dass der Aschenplatz An Eulen verschwindet, brauchen wir an der Stendener Straße eine zukunftsfähige Anlage. Wobei fragwürdig ist, ob dort unter den Gesichtspunkten des Immissionsschutzes ein Kunst- oder Hybridrasen möglich ist. Nichtsdestotrotz muss die bereits beschlossene Umkleide jetzt dort gebaut werden, damit ein erster Schritt gemacht wird. Langfristig muss man sich die Frage stellen, ob dann womöglich zwei Kunstrasenplätze in Kempen und einer in Tönisberg ausreichend sind. Das müssen wir mit dem Stadtsportverband lösen und wir brauchen ein Sportentwicklungskonzept, welches die Stadt leider immer noch nicht hat. Aktuell halte ich einen neuen Kunstrasen in St. Hubert für herausfordernd.

So wie beim Kunstrasen sagen Sie an vielen Stellen, dass die Kostenfrage an erster Stelle stehen muss. Sie führen einen äußerst realistischen Wahlkampf. Wie kommt das an?

Franzes: Ich rede den Bürgern nicht nach dem Mund, sondern nach dem Kopf. Mit dieser Haltung erhalten Sie Glaubwürdigkeit. Es gibt Kandidaten im Feld, die laufen mit dem Bauchladen durch die Stadt. Die holen sich bei jedem etwas ab, was sie denn noch umsetzen sollen. Ist das glaubwürdig? Fakt ist, dass die finanziellen Ressourcen und die personellen Kapazitäten der Verwaltung begrenzt sind. Wir müssen schauen, worauf wir uns fokussieren. So sehe ich die Sanierung des Rathauses am Buttermarkt aktuell nicht. Die Burg sollte auch kein Wahlkampfthema sein. Das Geld fällt nicht vom Himmel. Und besonders jetzt in der größten Wirtschaftskrise unseres Landes noch von irgendwelchen Träumen zu erzählen, ist für mich unglaubwürdig. Denn ich stehe für eine Politik, die rechnen kann.

Im FDP-Programm stehen Sie für eine „proaktive Wirtschaftsförderung“. Sie fordern einen „Problemlöser mit Sachverstand“. Haben wir den auf dem Posten noch nicht?

Franzes: Wir haben einen neuen Wirtschaftsförderer mit dem Stellenprofil „Netzwerken und Kaffeetrinken“. Das ist okay. Aber Wirtschaftsförderung wäre für mich Chefsache. Nachdem Herr von Laguna als Wirtschaftsförderer eingestellt wurde, habe ich irgendwo gelesen, dass es jetzt vorangeht. Ja, da lachen doch die Hühner. Dazu gehört doch wohl eine ganze Menge mehr, als eine Stelle zu schaffen und zu besetzen. Wir müssen uns in diesem Bereich anstrengen und zuallererst Gewerbeflächen schaffen. Auf dem De-Beukelaer-Gelände müssen wir in kleinen Parzellen vermarkten, sofern wir es als Stadt können. Da möchte ich kein AZ 2.0 oder einen großen Versandhändler haben. Und an der Zeche in Tönisberg können wir die neuen 20er Jahre aktiv gestalten. Dazu braucht es vor allem eine bessere ÖPNV-Infrastruktur. Im Moment können Studenten dorthin nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln gelangen. De Beukelaer und Zeche sind für mich Leuchttürme mit Strahlkraft über den Niederrhein hinaus.

Wie sieht es denn aus in Sachen Gewerbesteuer?

Franzes: Eine Erhöhung lehnen wir ab. Bevor das passiert, schauen wir uns erst einmal an, was man einsparen kann. Jeder einzelne Euro, der in örtlichen Unternehmen verbleibt, ist besser angelegt als in Gutachten und Machbarkeitsstudien. Aber noch einmal zu meinem Verständnis von Wirtschaftsförderung: Ich will nicht hören „Nein, das geht nicht“. Ich will hören „Ja, wir machen es möglich“.

Was die Wirtschaft auch will und was Sie propagieren, sind flexiblere Öffnungszeiten in den Kitas. Wie wollen Sie das angesichts des Mangels an Erzieherinnen und Erziehern bewerkstelligen?

Franzes: Grundsätzlich wollen wir Kitas, die so flexibel sind wie das Leben. Aber ich stimme zu: Das Problem des Personals kann weder ein Bürgermeister Kraft, Dellmans, Alsdorf oder Franzes lösen. Wir müssen in Kempen schauen, dass wir moderne Einrichtungen haben, also die Hardware bestmöglich vorhalten. In Sachen Personal stehen wir im Wettbewerb mit allen anderen Städten. Zudem müssen vor allem in Düsseldorf und Berlin gesamtheitliche Rahmenbedingungen geschaffen werden.

In Düsseldorf sind sowohl das Familien- als auch das Bildungsministerium in FDP-Hand. Was sagen Sie Ihren Parteikollegen?

Franzes: Da ist die FDP am Puls der Zeit. Ich hoffe auf eine weitere Regierungsbeteiligung nach der nächsten Landtagswahl. Dann kann der gute Weg fortgesetzt werden. Was jetzt in den Ministerien passiert, wird erst in den nächsten drei oder vier Jahren richtig greifen.

Ein Wahlkampfthema ist auch das bezahlbare Wohnen. Wie sind da Ihre Vorstellungen?

Franzes: Also erstmal würde ich gerne den Begriff „bezahlbares Wohnen“ definieren. Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Ein Recht auf Wohnen hat jeder; ein Recht auf Wohnen in der Kempener Innenstadt aber nicht. Das regelt der Markt. Für preiswerten Wohnraum sehe ich die GWG des Kreises Viersen am Zug. Jetzt höre ich von anderen Kandidaten und Parteien, dass sie eine eigene GWG in Kempen gründen wollen. Das bringt doch nichts, außer doppelte Strukturen mit eigenen Prozessen und eigenem Personal. Ich strebe da einen gesunden Mix an. Die hohe Nachfrage kann nur gedeckt werden, wenn wir bauen. Und das ist im Kempener Westen möglich. Aber auch dort wollen sicherlich viele Kempener ein Einfamilienhaus bauen. Wir brauchen jedoch eine gute Mischung. Bei der Diskussion sollten wir je auch die anderen Ortsteile berücksichtigen. Auf dem Wartsberg in Tönisberg, wo ich meine Jugend verbracht habe, sind zum Beispiel Wohnungen frei.

Wenn man als FDP-Kandidat ins Rennen geht, gilt man nicht als Favorit. Sie sind aber mit Leib und Seele dabei – sowohl digital als auch analog. Wie schätzen Sie die Resonanz auf Ihren Wahlkampf ein?

Franzes: Wenn ich was mache, mache ich es richtig. Ich habe das Gefühl, dass mein Wahlkampf gut ankommt. Ich bekomme sogar von politischen Mitbewerbern ein positives Feedback. Zum Beispiel bekomme ich auf meinen Podcast positive Reaktionen. Auch von Menschen, die sich das bloße Wahlprogramm vielleicht nie durchgelesen hätten. 

Welches Wahlergebnis stellen Sie sich denn für sich vor?

Franzes: Wenn meine Partei und ich als Spitzenkandidat zehn Prozent plus X erreichen, sind wir sehr zufrieden. Zudem gilt es, eine absolute Mehrheit für die CDU zu verhindern. Das tut einer Stadt nie gut.

Sollte es zu einer Stichwahl zwischen Philipp Kraft und Christoph Dellmans kommen, wen wird die FDP da unterstützen?

Franzes: Beide Kandidaten haben sich bei uns vorgestellt und beide haben nicht mit ihren Vorstellungen geglänzt. Es gibt Tendenzen bei uns. Aber wen wir unterstützen werden, wird man nach der Stichwahl sehen.

Es wird also eine FDP-Empfehlung geben?

Franzes: Ja, die wird es geben.