Kempen: Ruhestands-Kaiser sprudelt vor Ideen
„Kempen unterm Hakenkreuz“ ist das Projekt, das Hans Kaiser jetzt angeht.
Kempen. Hans Kaiser ist kein Mensch der leisen Töne. Das machte er kurz nachdem er nach Kempen gezogen war mit Glocke und Gebrüll deutlich.
Damals, 1972, radelte er in preußischer Uniform durch die Stadt und lud zum Besuch des Kramer-Museums ein - eine Idee, die er zusammen mit dem Leiter des Freilichtmusems Dorenburg Dieter Pesch, ausgeheckt hatte.
Heute, 38 Jahre später, ist Kaiser kein bisschen leiser. Obwohl der Lehrer Mitte Juli seinen letzten Schultag hatte und an der Erich Kästner Realschule verabschiedet wurde, ahnt man, dass Ruhestand nicht das richtige Wort ist. Stattdessen dreht er jetzt erst richtig auf, wie man bei einer Feierstunde merkte, zu der die Stadt aus Anlass der Verabschiedung Kaisers aus dem Schuldienst eingeladen hatte.
"Jetzt geht es ans Buch", sagt er und meint sein Projekt "Kempen unterm Hakenkreuz", aus dem er in der WZ bereits einige Artikel veröffentlicht hat. "Das wird ein Schinken", verspricht der 63-Jährige. Rund 80 Zeitzeugen finden sich bereits in seinem Manuskript. Bürgermeister Volker Rübo hob besonders Kaisers Bemühen hervor, dass sich Schüler mit der "Reichskristallnacht" in Kempen beschäftigen. "Die Kinder und Jugendlichen haben sich mit dieser Zeit auseinandergesetzt und sind gereift", so Rübo.
Nationalsozialismus und Holocaust wecken bei Kaiser besonderes Interesse. Wenn man den Historiker nach dem Grund fragt, bekommt man eine erstaunliche Antwort: "Die Erkenntnis einer eigenen Anfälligkeit. Ich wäre bestimmt ein Mitläufer gewesen. Und ich stelle fest, dass immer mehr junge Menschen infizierbar sind. Daher muss man die Geschichte durchleuchten, man muss zeigen: Es sah toll aus, aber was stand dahinter."
Und damit macht er in Kempen weiter: Neben seinem Buch hat Kaiser vor, einen Senioren-Workshop zu starten, in dem sich Zeitzeugen über den Nationalsozialismus in Kempen austauschen können. Auch Kempens Alt-Bürgermeister und Zeitzeuge Karl-Heinz Hermans ist von der Bedeutung überzeugt: "Die Zeit drängt. Die Gruppe der Zeitzeugen wird immer kleiner."
Ideen hat Kaiser noch viele: "Ich fände es gut, wenn eine Straße nach Selma Bruch benannt werden würde." Die Kempenerin wurde 1943 in Auschwitz getötet. Ihre neunjährige Tochter Ilse war so geschwächt, dass sie in die Gaskammer geschickt werden sollte. Die Mutter wollte ihre Tochter nicht allein lassen und folgte ihr in den Tod.
Zusammen mit dem Kulturamt steckt Kaiser in den Planungen zu einer Gedenkveranstaltung zum 80. Jahrestag der ersten Deportation Kempener Juden am 10. Dezember 2011. Ein weiteres Projekt ist eine Ausstellung zum 80. Jahrestag der Machtergreifung der Nazis am 30. Januar 2013. Und Kulturamtsleiterin Elisabeth Friese freut sich schon darauf, Kaiser bald als Stadtführer verpflichten zu können. Vielleicht nimmt er dazu ja auch die Glocke in die Hand und schmeißt sich in die preußische Uniform.