Herr Schürmann, Sie sind Anfang des Jahres zum neuen Vorsitzenden von Faba gewählt worden. Was steht oben auf Ihrer To-do-Liste?
Kempener führt Verband Faba „Gerade kleine Anbieter sind am Markt wichtig“
Interview | Kempen · Neuer Vorsitzender des Verbands Faba ist Detlev Schürmann. Er fürchtet, dass aufgrund neuer Vorgaben kleine BeWo-Anbieter aufgeben.
Mal ist es Burn-out, mal eine posttraumatische Belastungsstörung. Der eine hat das Down-Syndrom, die nächste eine Angststörung, eine Lernbehinderung oder eine körperliche Behinderung. Es gibt viele Menschen, die eine psychische, körperliche oder geistige Behinderung oder Sinnesbehinderungen haben und nicht nur zum Arzt oder Therapeuten müssen. Sie brauchen auch eine Unterstützung im Alltag, um möglichst selbstbestimmt und selbstständig leben zu können. Manche brauchen sie nur für eine Weile, manche dauerhaft. Dabei helfen Anbieter des ambulanten betreuten Wohnens (BeWo). Vielerorts kümmern sich große Wohlfahrtsverbände darum, es gibt aber auch weitere Anbieter. Manche sind sehr klein, sind als Ein-Frau-Betrieb oder zu zweit tätig, andere betreuen mit 20 oder 30 Mitarbeitenden vielleicht 100 Klienten.
Solche kleinen Anbieter vertritt unter anderem der Verband Faba mit Sitz in Köln. Die Mitglieder des Verbandes unterstützen NRW-weit rund 4000 Klientinnen und Klienten. Der Schwerpunkt liegt bei ambulanten Assistenzleistungen in der Eingliederungshilfe. Das Ziel: die BeWo-Anbieter in die Lage zu versetzen, sich leistungsfähig aufzustellen, damit die Vielfalt am Markt erhalten bleibt. Das ist auch das Ziel des neuen Vorsitzenden Detlev Schürmann. Der Kempener ist seit 34 Jahren im sozialpsychiatrischen Bereich tätig. Vor 14 Jahren gründete er seinen sozialen Betreuungsdienst „Wegweiser“ in Kempen. Eine der stellvertretenden Vorsitzenden ist eine Krefelderin: Friederike Brendel-Grünewald führt gemeinsam mit einer Kollegin mit „LebensArt“ Menschen mit chronisch psychischen Erkrankungen und Abhängigkeitserkrankungen. Was die beiden umtreibt und warum ihnen die Vielfalt der Anbieter wichtig ist.
Detlev Schürmann: Dafür sorgen, dass die kleinen Anbieter überleben. Wir sind aktuell in einer schwierigen Situation. Dazu muss man wissen, dass der Landesrahmenvertrag, der 2019 im Landesgesundheitsministerium unterzeichnet wurde, sehr komplex ist. Damit wurde aber auch ein neues Leistungs- und Vergütungssystem auf den Weg gebracht. Und das macht uns wirklich Kopfzerbrechen.
Wo liegt das Problem?
Schürmann: Damit nimmt die Bürokratie massiv zu. Zum Beispiel bei der Vergütung der Leistung, also bei dem, was wir vom Landschaftsverband Rheinland (LVR) für die Betreuung bekommen. Früher wurde die Fachleistungsstunde vergütet und die Vergütung jährlich angepasst, da war alles enthalten, damit konnte ich als Anbieter rechnen. Am Ende des Vergütungszeitraums kamen noch 20 Prozent für Overhead-Kosten hinzu, alles gut. Jetzt ist der LVR auf die Idee gekommen, auf ein modulares System umzustellen, differenziert in die qualifizierte Assistenz, die begleitende Assistenz und die einfache Assistenz. Das heißt, es gibt nicht mehr den einen Satz, mit dem ich abrechnen und meinen Betrieb am Laufen halten kann. Und da reden wir nur von den Personalkosten.
Können Sie das konkreter schildern?
Schürmann: Sie müssen auf die Klienten schauen: Keiner hat den gleichen Bedarf wie der andere. Menschen verändern sich, und das ist ja auch unser Ziel: Sie zu unterstützen und anzuleiten, damit sie Dinge selbst schaffen. Nehmen Sie zum Beispiel eine Person mit Depression. Sie leidet unter Antriebslosigkeit, entsprechend sieht es auch im Haushalt aus. Ziel unserer Unterstützung ist es, dass die Person irgendwann in der Lage ist, diese Aufgaben wieder selbst erledigen zu können. Bislang haben wir gesagt, gut, dann schicken wir jemanden da hin, der guckt, was braucht die Person, was kann sie allein machen, was muss man gemeinsam machen. Künftig darf ich da aber nur noch eine pädagogische Kraft hinschicken. Das ist dann eine qualifizierte Assistenz. Und die soll nun also monatlich abgerechnet werden, die Rechnung muss bis zum 15. des Folgemonats wieder zum LVR geschickt werden, sonst bekomme ich kein Geld. Heißt: Ich allein in meinem Betrieb komme mit den drei Kräften für die Abrechnung überhaupt nicht mehr hinterher. Ich verstehe das nicht. Wir hatten eine einfache Lösung, die 20 Jahre gut funktioniert hat, und jetzt das. Warum?
Friederike Brendel-Grünewald: Aktuell befinden wir uns in einer sehr ungünstigen Schwebeposition. Der LVR sagt, er will umstellen, aber nicht, wann. In anderen Bundesländern ist das anders. Da wird gesagt: Legen Sie dar, was Sie benötigen, dann werden die Kosten erstattet. Es gibt schon genug Herausforderungen: Die Zahl der Menschen mit Betreuungsbedarf steigt, Fachkräfte fehlen. Und dazu dann dieser überbordende Verwaltungsaufwand. Wir machen unseren Job wirklich gern. Aber für uns geht es um die Existenz.
Gehen Sie davon aus, dass Betriebe aufgrund des steigenden bürokratischen Aufwands schließen müssen?
Schürmann: Ja. Die kleinen Anbieter werden nicht in der Lage sein, diesen Bürokratieaufwand zu betreiben. ich befürchte, dass das alles zu Lasten der kleinen Anbieter geht. Dabei verliert man die Menschen aus dem Blick. Denn wenn es weniger Anbieter gibt, haben die Klienten auch keine Wahlmöglichkeit mehr.
Brendel-Grünewald: Dabei ist es für viele Klienten immens wichtig, die Wahl zu haben. Gerade psychisch Erkrankte haben oft ein Problem damit, einen kirchlichen Träger zuzulassen. Denken Sie etwa an Missbrauchsopfer. Man kann nicht jeden an einen kirchlichen Träger anbinden. Freie Träger sind konfessionslos.
Schürmann: Die kleinen Anbieter sind wichtig, gerade hier im ländlichen Raum. Sie sind auch überall dort tätig, wo es sich für die großen Wohlfahrtsverbände nicht lohnt.
Und Sie wollen verhindern, dass kleine Anbieter aufgeben?
Schürmann: Ja, wir werden als Faba nicht zugucken. Wir wollen im Interesse der Menschen eine relativ bürokratiefreie Abrechnungsweise. Als Vorsitzender des Verbandes Faba sehe ich unsere Hauptaufgabe darin, dafür zu sorgen, dass unsere kleinen und kleinsten Mitglieder nicht auf der Strecke bleiben. Sie haben nicht die Lobby eines großen Wohlfahrtsverbandes.
Was können Sie tun?
Schürmann: Wir können zum Beispiel die Zustimmung verweigern. Wir sind als Verband Mitglied in der Gemeinsamen Kommission, ein Gremium, das zur Fortentwicklung des Landesrahmenvertrags geschaffen wurde. Das Gremium tagt etwa alle drei Monate, man muss geeint rausgehen. Die Regelungen müssen sich meiner Meinung nach daran messen lassen, ob der kleinste Anbieter in der Lage ist, die Vorgaben zu erfüllen. Sonst lege ich mein Veto ein.