Laut und leise im Margot-Honecker-Jäckchen
Die Kabarettistin Nessi Tausendschön präsentierte die „Wunderbare Welt der Amnesie“.
St. Hubert. Es war still geworden um Nessi Tausendschön. Und das Programm „Die wunderbare Welt der Amnesie“ stammt aus dem Jahr 2011. Das präsentierte die mittlerweile 54-Jährige jetzt dem kritischen Abo-Publikum und zeigte, dass sie noch ganz die Alte ist: charmant, stimmgewaltig, kritisch und komisch.
Wenn man weiß, dass die Kleinkünstlerin einmal Zierpflanzengärtnerin war, wird verständlich, warum sie als „Nessi Tausendschön“ auftritt. Dieser Name klingt harmlos. Die Frau, die dahintersteckt, kann dagegen auch schon mal Brennnessel oder Kaktus sein. Und politisch ist sie auch, das merkte man schnell an Äußerungen wie dieser: „Verdrängen und vergessen ist ein deutsches Thema.“ Später führte sie aus, wie Politiker auf die Amnesie bei ihren Wählern setzen und wie sie diese auslösen.
Nessi Tausendschön erinnert irgendwie an Nena. Das ist ihr offenbar schon selber aufgefallen, deshalb gibt es eine ultrakurze Gesangsparodie. Die ist aber lang genug, um zu erkennen, dass Tausendschön die wesentlich stimmgewaltigere „Nena“ ist.
Was ihr Programm prägt, ist der radikale Wechsel zwischen leisen und lauten Tönen. Die Frau in Schwarz mit der Hochsteckfrisur unterscheidet zwischen dem gewollten und dem ungewollten Vergessen, in die erste Kategorie gehöre unter anderem die Steueramnesie, in die zweite Hochzeits-, Geburtstags- und Namenstagamnesie. Und sie wurde fast schon wissenschaftlich, als sie Folgendes erklärte: „Wir müssen vergessen, um nicht kirre zu werden, müssen auswählen, welche Infos wir an uns heranlassen wollen.“
Dass sie ihr Programm behutsam aktualisiert hat, wurde unter anderem an dem Begriff „täglicher Spahnsinn“ deutlich — eine Anspielung auf die Art des neuen Gesundheitsministers Jens Spahn, sich in den Medien Gehör zu verschaffen.
Die Macht der Medien — Nessi Tausendschön sieht darin scherzhaft eine Möglichkeit, den IS zu besiegen: „Man muss nur als Nachricht verbreiten, pulverisierter IS-Hoden steigert die Potenz.“
Die 54-Jährige, die zur Verstärkung bei den Musikeinlagen den Kanadier William Mackenzie auf die Bühne gebracht hatte, parodierte unter anderem Max Raabe. Im Margot-Honecker-Kostümjäckchen trat sie als die höchst gespaltene Persönlichkeit Gabi Pawelka auf, die zwischen eklatant mangelndem und übersteigertem Selbstwertgefühl hin und her schwankte. Die Absolventin von Kursen wie „Scheitern als Chance“ war eine zutiefst verunsicherte Person — für Nessi Tausendschön wohl ein Archetyp des modernen, auf Erfolg getrimmten Menschen.
„Ich bin so antriebslos“ ist ein Song, der das hält, was der Titel verspricht. Nessi Tausendschön setzte dem ihren erfrischenden Humor entgegen: „Ich hab’ das Gefühl, das wird mal ein ganz großer Karnevalshit.“