St. Töniser erlebt Terror hautnah
Oscar Heinke lebt in Paris — nahe am 11. Arrondissement, in dem viele Menschen den Anschlägen zum Opfer gefallen sind.
Kempen/Tönisvorst/Willich. Knapp 500 Kilometer ist Paris von Kempen entfernt. Die französische Hauptstadt ist näher als Berlin und München. Das macht die Terroranschläge noch erschreckender als sie sowieso schon sind. Besonders betroffen sind die Menschen, die Verwandte und Freunde in Paris haben — oder dort wohnen. Wie der St. Töniser Oscar Heinke, der seit drei Jahren in Paris studiert.
Der 20-Jährige lebt im 12. Arrondissement. „Nur etwa sieben Minuten vom Elften entfernt, in dem das Konzerthaus Bataclan liegt“, berichtet der Sorbonne-Student im Telefonat mit der WZ. Dort sind ebenfalls das italienische Restaurant „La Casa Nostra“ und das „Café Bonne Bière“, der Boulevard Voltaire und die Rue de Charonne. An all diesen Orten haben Anschläge stattgefunden, hat es viele Tote und Verletzte gegeben.
Heinke war am Freitagabend „auf der anderen Seite von Paris“, um den Geburtstag mit einer Freundin zu feiern. Er habe von den Anschlägen erfahren, als sich ein Freund per SMS erkundigt hat, ob es ihm gut gehe. Heinke: „Er dachte, dass ich mir wie zuvor beabsichtigt das Spiel Deutschland gegen Frankreich im Stadion ansehen wollte.“ Zur gleichen Zeit seien auch die anderen Partyteilnehmer durch SMS und Anrufe auf den Terror aufmerksam gemacht worden. Jeder habe schnell Kontakt zu Freunden und Familie gesucht, um zu hören, wie es denen geht. Er selbst habe an diesem Abend auch mehrmals mit seinen Eltern, seine Mutter ist Französin, und den Großeltern gesprochen. Alle Gäste konnten bei den Eltern der Freundin übernachten, um nicht mehr hinaus auf die Straße zu müssen.
„Als ich am Samstag mit der Metro nach Hause gefahren bin, habe ich genauer auf meine Umgebung geachtet“, sagt der junge Mann. Er habe Angst gehabt. Auch wenn der Kopf etwas anderes gesagt habe: „Es sind 129 Menschen gestorben. Wenn man dies auf die 3,7 Millionen Pariser umrechnet, ist das nur ein kleiner Teil.“ Doch diese nüchterne Rechnung könne nicht das Gefühl und die Trauer um die vielen Toten und Verletzten vertreiben. Genauso wenig wie die Ohnmacht und Hilflosigkeit, die er fühle. „Man kann nichts tun, sich nicht wehren. Es kann jeder jederzeit passieren“, sagt der Student der deutschen und englischen Literatur.
Die Anschläge auf die Redaktion von Charlie Hebdo im Januar hätten ihn nicht so belastet wie diese Angriffe. Sie seien „näher an seinem Umfeld. Viele meiner Freunde und Bekannten kennen jemanden, der vom Terror betroffen ist.“ So habe er einen Bekannten, der zwar unverletzt aus dem Konzertsaal herausgekommen sei, sich nun aber bei seinen Eltern zurückgezogen habe, um das Erlebte zu verarbeiten.
Dass am Samstag und Sonntag wesentlich weniger Menschen in Paris unterwegs waren, bestätigt Oscar Heinke. Er schätzt, dass es auch aus „Respekt vor den Toten geschehen ist und weniger aus Angst“. Er rechnet damit, dass der Uni-Betrieb am Montag weiter geht. „Ich habe aber gehört, dass nur Studenten mit einem Ausweis reingelassen werden.“
In St. Tönis lebt Robin Sautter (Archiv-Foto: Reimann). Der evangelische Pfarrer kommt aus Arras und verstärkt seit einem Jahr das Team der evangelischen Kirchengemeinde an der Hülser Straße. „Wie alle Franzosen stehe ich unter dem Schock“, sagt der 36-Jährige. „Man wusste zwar, dass die islamistischen Extremisten nach Charlie Hebdo noch Anschläge machen würden, aber so viel hatten wir nicht erwartet“. Seitdem er weiß, dass es Angehörigen und Freunden, die in Paris sind, gut geht, sei er beruhigt, „aber unheimlich traurig zu sehen, wie schrecklich die Menschheit sein kann. Diese Leute wollen nur den Krieg, in Frankreich, in Europa, in Syrien und überall. Sie haben keine Hoffnung, das irdische Leben hat für sie keinen Wert. Für uns ist das nicht so und wir werden nie aufgeben.“ Für Sautter ist es jetzt „das Wichtigste, zu beten, für die Familien, die betroffen sind, für die Behörden und die Polizisten, und für unsere Feinde ,damit sie klug werden’ (Psalm 90,12). Wir müssen mit Mut und Liebe antworten.“
Die neue Vorsitzende des Tönisvorster Partnerschaftskomitees mit Sées, Silvie Gülich, hat „zum Glück keine Verwandten in Paris“, wie sie sagt. Aber die Geschehnisse hätten sie sehr mitgenommen. „Ich habe mich in der Nacht via Smartphone direkt aus dem französischen Fernsehen informiert. Dass so was mitten in Europa passieren kann, kann man sich gar nicht vorstellen.“ Sie habe tiefes Mitleid mit den Menschen vor Ort. Aber schön sei bei allem die Hilfsbereitschaft untereinander. „Türen wurden geöffnet, Taxifahrer fuhren Menschen spontan nach Hause.“